Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
vielen Stellen der Bahn noch Arbeiter, welche beschäftigt waren, den Bau von Brücken und Viaducten nachzuholen oder solche Punkte, welche bereits schadhaft geworden waren, wieder auszubessern. Diese Leute hatten, wenn sie nicht in der Nähe einer der damals wie Pilze aus der Erde schießenden Ansiedelungen arbeiteten, sich gewöhnlich ein Camp, ein Lager errichtet, welches mit einigen Befestigungen versehen war. Dieses Letztere war nothwendig der Indianer wegen, welche den Bau der Eisenbahn als einen Eingriff in ihre Rechte betrachteten und ihn auf alle Weise zu verhindern und zu erschweren suchten.
Aber auch noch andere Feinde gab es, Feinde, welche fast noch furchtbarer als die Rothhäute waren.
Es treibt sich nämlich in der Prairie eine Menge Gesindels umher, welches sich aus denjenigen Elementen rekrutirt, welche der civilisirte Osten ausgestoßen hat, Existenzen, welche auf alle Weise bankerott geworden sind und nun vom Leben nichts weiter zu erwarten haben als was sie durch ein verbrecherisches Durchschweifen des Westens zu erreichen vermögen. Diese Menschen rotten sich bald zu diesem, bald zu jenem verderblichen Zwecke zusammen und sind mehr zu fürchten als selbst die wildesten Indianerhorden. Zur Zeit des Eisenbahnbaues hatten sie es ganz besonders auf die jungen Ansiedelungen und auf die Camps abgesehen, welche entlang der Bahnstrecke entstanden, und es war daher nicht zu verwundern, daß diese Camps Befestigungen erhielten und die Bewohner derselben selbst während der Arbeit bewaffnet gingen.
Wegen der Angriffe, welche diese Räuber auf die Camps und kleinen Wagentrains unternahmen, wobei sie gewöhnlich den Schienenweg zerstörten, um den Zug zum Stehen zu bringen, wurden sie Railtroublers, Schienenstörer genannt. Man hatte ein scharfes Auge auf sie, so daß sie schließlich ihre Ueberfälle nur dann unternehmen konnten, wenn sich mehrere ihrer Trupps vereinigt hatten, so daß sie sich also zahlreich genug wußten. Uebrigens herrschte gegen sie eine solche Erbitterung, daß jeder gefangene Railtroubler nichts Anderes als den sicheren Tod zu erwarten hatte. Diese Banden mordeten ohne Unterschied des Alters und Geschlechtes, darum konnte auch gegen sie von keiner Gnade die Rede sein.
Es war Sonntag Nachmittag, als wir mit dem Zuge Omaha verließen. Unter den Reisegefährten befand sich kein Einziger, der mein Interesse mehr als vorübergehend in Anspruch genommen hätte. Erst am nächsten Tage stieg in Fromont ein Mann ein, dessen Aeußeres sofort meine Aufmerksamkeit auf ihn lenkte. Da er in meiner unmittelbaren Nähe Platz nahm, so hatte ich die beste Gelegenheit, ihn zu beobachten.
Sein Anblick bot eigentlich etwas so Komisches, daß ein oberflächlicher Beobachter gewißlich Mühe hatte, ein belustigtes Lächeln zu verbeißen; ich aber war an derartige Erscheinungen genugsam gewöhnt, um meinen vollen Ernst bewahren zu können. Der Mann war von kleiner Statur, dabei aber so dick, daß man ihn ohne große Mühe hätte kugeln können. Er trug einen Schafpelz, dessen rauhe Seite nach Außen gekehrt war. Diese rauhe Seite war früher jedenfalls behaart gewesen, jetzt aber war die Wolle verschwunden, und nur hier oder da erblickte man ein kleines, einsames Flöckchen, welches auf dem nackt gewordenen Leder das Aussehen einer Oase in der Sahara hatte. Vor Zeiten mochte dieser Pelz seinem Besitzer gepaßt haben; dann aber war er unter dem Einflusse von Schnee und Regen, von Hitze und Kälte so zusammengeschwunden, daß sein unterer Rand das Knie nicht mehr erreichte; er konnte nicht mehr zugeknöpft werden, und die Aermel hatten sich bis in die Gegend des Ellbogens nach rückwärts concentrirt. Unter diesem Pelze erblickte man eine rothflanellene Jacke und eine Lederhose, welche jedenfalls einmal schwarz gewesen war, jetzt aber in allen Regenbogenfarben funkelte und ganz das Aussehen hatte, als ob es ihre Bestimmung sei, dem Besitzer als Wisch-, Tisch-und Taschentuch zu dienen. Unterhalb dieser antidiluvianischen Hose erblickte man die nackten, blau gefrorenen Fußknöchel des Mannes und dann ein Paar Schuhe, die eine ganze Ewigkeit aushalten konnten. Sie waren aus rindsledernen Stiefeln geschnitten und hatten Doppelsohlen, die mit so starken Nägeln beschlagen waren, daß man mit ihnen hätte ein Krokodill todttreten können. Auf dem Kopfe trug er einen Hut, der außer der Façon auch einen Theil der Krämpe verloren hatte. Um diejenige Körpergegend, welche vor Jahren einmal Taille gewesen war,
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