Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
Seit meiner Rückkehr nach dem »alten Lande« waren Jahre verflossen, ohne daß ich von jener Unruhe, welche den Wandervogel immer wieder von Neuem hinauszieht, Etwas gespürt hätte; da aber sollte mich das Verhängniß um so unverhoffter und unwiderstehlicher packen. Es rief mich eine kleine geschäftliche Angelegenheit nach Hamburg, wo ich einen Bekannten traf, dessen Anblick alle Erinnerungen plötzlich aufleben ließ. Er war aus St. Louis, und wir hatten in den Sümpfen des Missisippi gar manches Stück Wild mit einander geschossen. Er war reich, sehr reich und bot mir freie Passage an, wenn ich ihm die Feude machen wolle, ihn nach St. Louis zu begleiten. Da ergriff mich die Prairiekrankheit mit voller, siegreicher Gewalt; ich sagte zu, telegraphirte nach Hause, um mir meine Gewehre und sonstigen Ausrüstungsstücke schleunigst kommen zu lassen, und nur fünf Tage nach unserem Wiedersehen schwammen wir bereits auf dem dienstfertigen Rücken der Elbe dem deutschen Meere und dem Ocean entgegen.
Drüben angekommen, vertieften wir uns für einige Wochen in die Wälder des untern Missouri; dann mußte er zurückkehren, während ich stromaufwärts nach Omaha City ging, um von da aus auf der großen Pacific-Bahn weiter nach Westen vorzudringen.
Ich hatte meine guten Gründe, grad diese Route einzuschlagen. Ich hatte das Felsengebirge von den Quellen des Frazer-Flusses bis zum Hell Gate Paß, vom Nordpark bis hinunter zur Wüste Mapimi kennen gelernt, doch die Strecke vom Hell Gate Paß bis zum Nordpark, also eine Strecke von über sechs Breitengraden, war mir noch fremd geblieben. Und gerade hier sind die interessantesten Punkte des Gebirges zu suchen: die drei Tretons, die Windriverberge, der Südpaß und ganz besonders die Quellgegenden des Yellow Stone, Schlangenflusses und Columbia.
Dorthin war außer dem schleichenden Indianer oder einem flüchtigen Trapper noch kein Mensch gekommen, und es zog mich förmlich, mich an dem Wagnisse zu versuchen, in jene unwirthlichen, nach der Sage der Rothhäute von bösen Geistern belebten Schluchten und Cannons einzudringen.
Freilich war dies nicht so leicht, als es sich erzählen läßt. Welche umständlichen und umfangreichen Vorbereitungen trifft der Schweizerreisende, ehe er sich anschickt, einen der Alpenberge zu besteigen! Und was ist sein Unternehmen gegen dasjenige eines einsamen Westmannes, der es wagt, im Vertrauen auf nur sich allein und seine gute Büchse Gefahren entgegen zu gehen, von denen der zahme europäische Tourist gar keine Ahnung hat! Aber grad diese Gefahren sind es, die ihn locken und bezaubern. Seine Muskeln sind von Eisen und seine Sehnen von Stahl; sein Körper kennt keine Anstrengung und Entbehrungen, und alle Thätigkeiten seines Geistes haben durch unausgesetzte Uebung eine Energie und Schärfe erlangt, die ihm selbst noch in der größten Noth ein Rettungsmittel finden läßt. Daher ist seines Bleibens nicht in civilisirten Districten, wo er seine Fähigkeiten nicht üben und bethätigen kann; er muß hinaus in die wilde Savanne, hinein in die todbringenden Abgründe des Gebirges, und je drohender die Gefahren auf ihn einstürmen, desto mehr fühlt er sich in seinem Elemente, desto höher wächst sein Muth, desto größer wird sein Selbstvertrauen, und desto inniger hält er die Ueberzeugung fest, daß er selbst in der tiefsten Einsamkeit von einer Hand geleitet wird, die stärker ist als alle irdische Gewalt.
Was mich betrifft, so war ich zwar nicht ein Westmann in des Wortes vollständiger Bedeutung, doch hatte ich das Jägerleben schon auch ein Wenig kennen gelernt, konnte mich auf meine gute Constitution verlassen und, was die Hauptsache war, befand mich im Besitz von oft erprobten Waffen, die mich noch nie im Stich gelassen hatten. Nur Eines fehlte mir, ohne das es geradezu unmöglich ist, in den
dark and bloody grounds
1 zu bestehen – ein gutes, zuverlässiges Pferd; doch verursachte mir dieser Mangel keine Kopfschmerzen. Den alten Wallach, der mich bis Omaha getragen hatte, verkaufte ich dort und setzte mich mit der festen Ueberzeugung in den Bahnwagen, daß ich ein gutes Pferd, sobald ich es brauche, auch wohl bekommen werde.
Damals war die Bahn noch nicht in allen ihren Theilen vollständig fertig gestellt; aber man dampfte doch bereits über die Felsenberge hinüber und herüber, und arbeitete eifrig an der Fertigstellung derjenigen Punkte, die bisher nur interimistisch fahrbar waren. Daher erblickte man während der Fahrt an
Weitere Kostenlose Bücher