Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
abbrechen, denn der Wächter kehrte zurück und teilte uns in strengem Tone mit, die Nezaneh habe befohlen, daß wir kein Essen bekommen und nicht miteinander sprechen dürften; beim ersten Worte würde man uns voneinander trennen. Das war die Folge von Halefs Zungenfertigkeit!
Mir war das Schweigen ganz recht; ihm aber fiel es noch schwerer als das Fasten; das sagte er durch die zwar stummen, aber doch sehr beredten Blicke, welche er mir von Zeit zu Zeit zuwarf. Das Beste in unserer Lage war, den Versuch zu machen, einzuschlafen. Noch ehe uns das gelang, wurde unser Wächter durch zwei andere ersetzt, welche uns das Verbot des Sprechens noch einmal einschärften. Die Nacht wurde kalt; das Feuer wärmte nicht, und die Fesseln hinderten uns, bequem zu liegen; dennoch schlief ich ziemlich gut und wurde nur durch die Ablösung der Wächter einige Male aufgeweckt.
Als es Tag geworden war, erhob sich draußen ein lautes Geschrei; es klang so gefährlich, als ob das Lager von Feinden überfallen worden sei. Man rannte lebhaft hin und her; wir hörten zornige Flüche; Pferde stampften und wieherten. Ich wurde um die Unsrigen besorgt. Eine der Wachen hatte sich entfernt, um nach der Ursache dieser Aufregung zu sehen; wir aber erfuhren doch nichts, als der Mann wieder kam, denn er machte seine Mitteilung dem Gefährten flüsternd; doch sah man beiden an, daß das, was sich ereignet hatte, etwas ebenso Unangenehmes wie Wichtiges gewesen war.
Wir bekamen auch jetzt weder etwas zu essen noch etwas zu trinken. Wir hätten gern wenigstens einen Schluck Wassers gehabt, doch fiel es uns gar nicht ein, darum zu bitten. Am lästigsten waren uns nicht Hunger oder Durst, sondern die Fesseln. Sie verursachten uns zwar keine Schmerzen, denn sie waren nicht, wie es z.B. bei den Indianern meist zu geschehen pflegt, so fest angezogen, daß sie in das Fleisch schnitten; aber sie ermüdeten uns dadurch sehr, daß sie uns zu einer unbequemen Körperlage zwangen. Übrigens brauchte ich nur zu wollen, um meine Hände frei zu bekommen; denn ich hatte an dem Strick, der sie verband, schon seit gestern gezogen und ihn so ausgespannt, daß ich in jedem beliebigen Augenblicke die Hände herausziehen konnte. Aber damit wäre in Gegenwart der Wächter noch nichts erreicht gewesen, weil uns auch die Füße zusammengebunden waren. Wir hatten also zu warten, bis uns diese einmal freigegeben würden.
Das geschah um die Mittagszeit. Da kamen zwei ältere Krieger herein; einer war der Anführer derer, die uns gefangen genommen hatten. Er machte uns folgende Mitteilung:
»Ihr habt die Nezaneh beleidigt; daher versagt sie Euch die Ehre, wieder zu Euch zu kommen, sondern Ihr werdet jetzt zu ihr geführt, um zu erfahren, was sie nun heute von Euch fordert.«
»Sie hat doch schon gestern ihre Forderung gestellt?« antwortete ich.
»Das ist anders geworden, seit man uns Eure Pferde genommen hat. Dadurch entgeht uns, was sie wert waren, und Ihr habt uns diesen Verlust durch Geld zu ersetzen.«
»Was?« fragte ich erschrocken. »Man hat Euch unsere Pferde genommen?«
»Ja, und noch zwanzig von den Unsrigen dazu!«
»Wer?«
»Es war heute früh eine Dästä-i Sävaräh 29 hier; der Kommandant von Kirmanschah braucht Pferde für seine Truppen, weil der Schah dem Sultan der Türken den Krieg erklären will. Ihr seid fremd und wißt also nicht, daß wir Ihlauts die Pferde dazu hergeben müssen, ohne gefragt zu werden, ob wir wollen oder nicht. Dem Naib-i-Aval 30 , welcher die Reiter anführte, gefielen Eure Hengste, und er nahm sie mit.«
»Habt Ihr ihm denn nicht gesagt, daß sie Euch gar nicht gehören?«
»Khuda nä kunäd – Gott bewahre! Es fiel uns nicht ein, so dumm zu sein. Er hätte mit Euch sprechen wollen und dann das Lösegeld, welches Ihr uns zahlen müßt, in seine eigene Tasche gesteckt.«
»So ist er mit unseren Pferden fort?«
»Ja.«
»Wohin?«
»Nach Kirmanschah, nicht nur mit den Eurigen, sondern auch mit den Unsrigen. Der Teufel segne ihn! Jetzt kommt!«
Halef war fast starr vor Schreck darüber, daß sein Barkh und mein Ben Rih entführt worden waren. Um nicht verstanden zu werden, raunte ich ihm mokrebihnarabisch zu:
»Sorge Dich nicht! Wir bekommen sie wieder. Wir reiten ihnen nach. Paß nur auf!«
»Schweigt!« wurde uns befohlen. »Ihr habt nicht miteinander zu sprechen! Vorwärts!«
Wir wurden aus der Hütte geführt, und ich war fest entschlossen, sie nicht wieder zu betreten. – – –
III.
Wenn ich sage: »Ich war
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