Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
Wenn dieses Kismet in Erfüllung geht, so ist es falsch, dem Christentum die Schuld zu geben. Doch muß ich allerdings offen bekennen, daß dem Christentume die Kraft, das Leben innewohnt, welches selbst Nationen vom Untergange zu erretten vermag. Du wirst das nicht zugeben wollen, wirst es aber doch eingestehen müssen, denn Du bist« – – – ich machte eine kurze Pause und fuhr dann mit Nachdruck fort: – – »schon längst keine Islameh 27 mehr.«
»Ich? Keine Islameh mehr?« fragte sie schnell. »Was, was bin ich sonst?«
»Eine Christin.«
»Bi Khatir-i Khudah – um Gottes willen!« rief sie aus, indem sie die Hände zusammenschlug. »Du wagst es, mich eine Christin zu nennen?!«
»Das ist kein Wagnis, sondern die Wahrheit. Ich habe vorhin gesagt, daß Du in einem Irrtume auch in Beziehung auf das Leben in Dir selbst befangen seist. Ich sehe und spreche Dich heute zum erstenmal; ich kenne Dich also nicht; aber ich habe einen Blick in die Tiefen Deiner Seele gethan, in welcher eine große, eine schmerzliche Sehnsucht nach Liebe und Erlösung lebt. Du suchst schon seit langen, langen Jahren nach Gott, nach seinem Himmel und nach seiner Seligkeit, hast aber noch keinen Menschen, noch keinen einzigen, gefunden, welcher Dir den Weg nach oben zeigen konnte – – –.«
»Schweig’!« unterbrach sie mich gebieterisch. Dann trat sie an das Feuer, ließ sich an demselben nieder und legte neue Nahrung in die Flamme. Dabei verwandte sie fast kein Auge von mir; sie schien mich mit ihrem Blicke ganz durchdringen zu wollen. Ich schwieg. Erst nach langer Zeit sagte sie langsam und als ob es ihr schwer werde, sich das Geständnis abzuringen: »Also Kara Ben Nemsi ist Dein Name! Sag’, bist Du allwissend?«
»Nein.«
»Warum hast Du in einer Weise zu mir gesprochen, in welcher man nur zu Männern und zwar zu gelehrten Männern zu sprechen pflegt?«
»Du bist keine gewöhnliche Frau, sondern ein gelehrtes Weib; aber Du besitzest nicht die Gelehrsamkeit des Kopfes, sondern die Gelehrigkeit des Herzens, welche nach höhern Gütern trachtet, als diejenigen sind, nach denen der berechnende Verstand die kalten, magern Hände ausstreckt.«
»Emir – – Effendi – – – bist Du etwa der Mann, nach dem ich so lange gesucht habe, ohne ihn zu finden? Kannst Du mir den Weg nach oben zeigen? Ich möchte es fast glauben und glaube es doch nicht, denn Du bist ein – – – ein Christ!«
»Ja, und ich danke Gott für die hohe Gnade, ein Christ sein zu dürfen! Ich gebe mir Mühe, ein Christ nicht nur zu heißen, sondern auch wirklich zu sein. Wenn das alle Christen thäten, würdest Du anders von uns gesprochen haben, als Du gesprochen hast. Sag’, hältst Du alle Bekenner des Islam für gute Menschen?«
»Nein; sie sind es leider nicht.«
»Ist der Islam daran schuld?«
»Gewiß nicht!«
»Wie kommt es da, daß Du unsern Glauben darüber anklagst, daß Du Christen kennen gelernt hast, welche keine guten Menschen waren? Ein guter Christ aber ist stets auch ein guter Mensch.«
»So würde ein guter Moslem also auch stets ein guter Mensch sein!«
»Nein; denn der Islam fordert von seinen Bekennern nicht die Liebe, welche der Grundstein und Eckpfeiler der christlichen Lehre ist.«
»Auch der Islam lehrt die Liebe!«
»Nur die Liebe zu und unter seinen Anhängern; unsere heilige Schrift aber gebietet uns, alle Menschen, sogar unsere Feinde wie uns selbst zu lieben.«
»Auch die Feinde?«
»Ja.«
»Bi Tschäschm-i Farzändäm – bei den Augen meines Sohnes, das ist unmöglich! Kein Mensch, überhaupt kein Sterblicher, besitzt die unendliche Selbstüberwindung, welche dazu gehört, seinen Feind zu lieben wie sich selbst! Sag’, könntest Du Deinem Todfeinde dieselbe Wohltat erweisen wie Deinem Blutsfreunde?«
»Ja.«
»Du hast Dich versprochen. Du wolltest ›nein‹ sagen?«
»Ich wollte ›ja‹ sagen und sage es noch einmal!«
»Das ist Lüge!«
Sie sprang auf und blitzte mich aus ihren Augen zornig an.
»Es ist Wahrheit!« behauptete ich.
»Lüge, Lüge, nichts als Lüge! Ich durchschaue Dich nun auch. Du bist ein kluger Mann und hast die Sehnsucht erkannt, welche in meinem Herzen wohnt; Du willst sie zu Eurem Vorteil benutzen, indem Du Dich bemühst, von mir als der Spender einer großen Gabe betrachtet zu werden. Aber Du betrügst mich nicht. Du bist so unvorsichtig gewesen, mir mit Deiner ganz unmöglichen Feindesliebe die Augen zu öffnen. Dadurch, daß Du Dich für einen Christen aller
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