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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Länderraub nachzuschicken? Der Christ! Was sind die Konsuln, die Gesandten, welche an allen, auch an unsern Herrscherhöfen Heimtücke, Zwietracht und Mißtrauen zu säen haben, um die Früchte dieser Hinterlist dann später heimzusenden? Christen sind sie! Beobachte Eure Missionäre! Ich kenne die verschiedenen Sekten nicht, denen sie angehören; es sind ihrer so viele, daß man sie sich gar nicht merken kann; aber jeder von ihnen behauptet, den Glauben zu verkünden, welcher allein selig macht; darum hassen und verfolgen sie sich; sie verachten einander; sie sprechen, lehren und kämpfen heimlich und öffentlich gegeneinander, und doch verlangen sie Glauben und Vertrauen von uns! Sie fordern Achtung und Ehrfurcht von uns und scheinen gar nicht zu ahnen, daß sie selbst es sind, die alles mögliche thun, sich, um ihre Ehre und um unsere Achtung, unser Vertrauen zu bringen. Sie tragen alle, alle stets das große Wort der Liebe auf der Zunge, zerfleischen aber dabei sich und uns! Es reisen viele Christen durch dieses unser Land, denn der Hauptweg von Bagdad herauf geht hier bei uns vorüber. Ich habe sie gesehen und mit ihnen gesprochen, hier und in den Städten, auch in Teheran und Ispahan; aber ich habe noch keinen einzigen Christen kennen gelernt, noch keinen einzigen, dessen Thaten das gehalten haben, was uns durch seinen Glauben, seine Lehre, seine Worte versprochen worden war! Denn, weißt Du, die wahre, die wirkliche Liebe darf nicht sprechen, sondern sie muß Thaten thun, Thaten, Thaten! Die Sonne soll Licht und Wärme bringen, und wenn sie das nicht thut, so ist sie keine Sonne. So muß die Liebe Segen und Glück verbreiten, und wenn sie das unterläßt, so ist sie keine Liebe! Die Liebe lebt nur durch das Glück und in dem Glücke anderer; was aber hat Eure sogenannte Liebe den Andersgläubigen bisher gebracht? Blut, Blut und immer wieder Blut! Wohin Ihr tretet, verschwinden die Nationen; denn Eure Füße sind die Füße des Verderbens, und in Euren Fußstapfen schleicht der Tod sich hinterher! Ich sagte vorhin, daß ich die Christen hasse; aber ich hasse sie nicht nur, sondern ich verachte sie, denn wessen Thaten das Gegenteil von seinen Worten sind, der verdient es nicht anders, der muß verachtet werden! Denke also ja nicht, daß ich Euch schonen werde! Ich werde vielmehr, gerade weil Du ein Christ bist, streng, sehr streng mit Euch verfahren. Was kannst Du gegen meine Worte sagen? Ich will Antwort haben. Sprich!«
    Sie sah mir mit blitzenden Augen erwartungsvoll in das Gesicht. Sie hatte ihre Rede so plötzlich, so ohne eigentliche Veranlassung über mich ausgeschüttet; es mußte sich der Stoff seit langem in ihr angesammelt haben. Was konnte, was sollte ich dagegen sagen? Wie oft schon waren mir dieselben, aber ganz dieselben Vorwürfe gemacht worden! Es ist gar nicht leicht, auf solche Anklagen Auskunft zu erteilen; denn es liegt für den, welcher nur ein Namenschrift ist, so viel Wahrheit in ihnen, daß er, mag er sich winden, wie er will, sich dem häßlichen Gefühle, überwiesen worden zu sein, nicht zu entziehen vermag. Ich wich ihrem Blicke nicht aus und antwortete ruhig: »Ich sage Dir hierauf zwei kurze Worte. Das erste ist: Du bist ein Weib. Das zweite lautet: Du bist unglücklich.«
    »Wie meinst Du das? Ich verstehe Dich nicht!«
    »So höre mich an! Du hast gemeint, mich durch Deine Rede so niedergeschlagen zu haben, daß ich Dir gar nicht antworten könne; aber Du irrtest Dich. Du ahnst gar nicht, welch einen tiefen Blick in Deine Seele Du mir gestattet hast. Du bist in einem großen Irrtume befangen, in einem Irrtume, welcher sich auf das Leben außer Dir und auf das Leben in Dir selbst bezieht. Zunächst das Leben außer Dir. Du siehst es mit falschen Augen an und verwechselst darum den Glauben mit dem Volke. Die Völker entstehen, entwickeln sich und vergehen genau so, wie der Mensch geboren wird, wächst und wieder stirbt. Treffen zwei Nationen aufeinander, von denen die eine jung und kräftig, die andere aber alt und schwach ist, so wird die alte der jungen weichen müssen; sind sie verschiedenen Glaubens, so ist es nicht die Religion, sondern die Altersschwäche, welche tötet. Eure orientalischen Griechen und Armenier gehören alten, abgelebten Völkerschaften an; daß sie auch moralisch gesunken sind, beweist nur, daß ich Recht habe, denn sie werden untergehen, obgleich sie sich Christen nennen. Es ist Allahs Ratschluß, daß ganze Völker wie einzelne Menschen sterben müssen.

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