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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Christen ausgeben wolltest, hast Du mir bewiesen, daß Du auch nur ein Namenschrift bist, ein selbstsüchtiger, berechnender und – – – schlechter Mensch! Du hast in meine Seele geblickt, mich aber nicht ganz durchschaut. Du hast geglaubt, leichtes Spiel mit mir zu haben, der einfachen und unerfahrenen Nomadenfrau; aber ich bin nicht das, wofür Du mich gehalten hast. Ich lebe nur kurze Zeit des Jahres über hier in den wilden Bergen und befinde mich sonst fast stets auf der Reise und in den Harimat der Großen unseres Reiches. Ich habe da offene Augen und offene Ohren und sammle mir innere Schätze, welche mir kein Mensch mit Gold aufwiegen könnte. Schon der Harem von Muhammed Schah, des Vaters unseres jetzigen Herrschers, hat mir offen gestanden, und vorher war ich die Freundin sämtlicher Frauen von Feth Ali Schah, dem größten der Kadscharen – – –«
    »Was – – – wirklich – – –?« unterbrach ich sie erstaunt. »Das ist ja seit über einem Menschenleben her!«
    Da ging ein stolzes, selbstbewußtes Lächeln über ihr Gesicht, und sie antwortete: »Ja, hier hört alle Eure fränkische Klugheit auf; hier könnt Ihr nichts als staunen! Wisse, daß mein Alter weit über sechs Jahrzehnte beträgt, und daß ich, wenn ich einst sterbe, noch genau so jung aussehen werde wie am heutigen Tage. Ich habe die Quelle der Jugend in der Hand; denn ich bin die Umm ed Dschamahl, aus deren Händen Tausende den Glanz der Schönheit und die – – –«
    Da wurde sie von Halef unterbrochen; denn dieser richtete sich auf, so schnell es ihm unter den Fesseln möglich war, und rief entzückt: »Die Umm ed Dschamahl bist Du? Hamdulillah – Allah sei Lob, Preis, Ehre und tausend Dank gesagt, daß er uns erlaubt hat, Eure Gefangenen zu werden! Wieviel kostet die Büchse Deiner Wundersalbe? Ich kaufe gleich zehn, zwanzig, vielleicht auch fünfzig Stück, wenn sie nicht zu teuer ist!«
    »Du?« fragte sie. »Du bekommst nicht eine einzige.«
    »Warum nicht?«
    »Weil die Haddedihn die Feinde unserer Freunde sind. Es fällt mir nicht ein, die Falten und Runzeln Deines Harems auszugleichen; ich wünsche vielmehr, daß sie so tief wie die Schluchten und Abgründe unserer Berge werden mögen! Wieviel Frauen hast Du?«
    »Eine.«
    »Wie ist ihr Name?«
    »Hanneh. Sie ist die lieblichste und schönste Rose unter allen duftenden Blüten des Blumenreiches.«
    »Die lieblichste und schönste? Und doch verlangst Du für sie eine Salbe? Ihr Gesicht wird einer trocknen Hagebutte und ihr Gang dem Wanken eines jungen Kamelkalbes gleichen. In den Harimat der Haddedihn wohnt kein einziges schönes Weib!«
    Das war für meinen kleinen, jähzornigen Hadschi wie ein Funke in das Pulverfaß.
    »Was höre ich?« schrie er entsetzt. »Meine Hanneh, die Perle und Krone aller Frauen, soll einer Hagebutte, und einem Kalbe des Kameles gleichen! Wäre ich nicht gefesselt, und wärest Du nicht ein Weib, so spukte ich Dich erst an und schlüge Dich dann zu Boden, daß Du nie wieder aufstehen könntest! Wie siehst denn Du aus? Bist Du etwa schön? Bilde Dir nichts ein! Die Haddedihn besitzen die herrlichsten Frauen aller Erdenvölker; Eure Weiber sind gegen sie wie langbeinige Taranteln, welche man mit goldflimmernden Schmetterlingen vergleicht. Die Salbe der Schönheit ist für sie überflüssig; ich mag sie nun gar nicht. Wenn man von ihr nicht schöner wird, als Du bist, so mag ich sie gar nicht sehen; denn sie würde das holde Angesicht des Lieblings meiner Seele nur entstellen und verderben!«
    Ein berühmter Psycholog hat den Satz aufgestellt, eine Frau könne alles, selbst die schwerste Beleidigung und Kränkung verzeihen, nur nicht die Behauptung, daß sie häßlich sei. Ob dies richtig oder falsch ist, weiß ich nicht, da ich noch, nie ein weibliches Wesen häßlich genannt habe und auch in dem jetzigen Falle die Wirkung nicht zu bestimmen war, denn die Nezaneh sagte kein Wort; sie richtete einen langen, verachtungsvollen Blick auf ihn und wendete sich dann von uns ab, um sich zu entfernen.
    »Habe ich es recht gemacht, Sihdi?« fragte er mich, als sie fort war.
    »Nein. Du hättest schweigen sollen.«
    »Schweigen? Wenn man Hanneh, das Licht meiner Augen und die Sonne meines Lebens, verleumdet? Eine Hagebutte! Ich wollte, diesem alten Weibe wüchse dafür ein Schnurrbart, so groß wie der eines persischen Sipähsalars! 28 Sie mag die Salbe behalten und ihre Ziegen und Schafe damit einreiben!«
    Er mußte im Ergusse seines Herzens

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