Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
hatte, nach dem Feuer. Hier legte ich ihn nieder und fachte die Glut von neuem an, um sein Erwachen genau beobachten zu können.
Es dauerte lang, ehe er die Augen aufschlug, aber trotz der scheinbar gefährlichen Situation, in welcher er sich befand, verriet kein einziger Zug seines ehernen Gesichtes eine Spur von Ueberraschung oder Schreck. Es schloß die Augen wieder und blieb wie leblos liegen, aber ich bemerkte doch, wie sich leise und heimlich seine Muskeln spannten, um die Festigung der Fesseln zu prüfen. Er trug den bloßen Haarschopf eines gewöhnlichen Indianers und war nur mit Hemde, Hose und Mokassins bekleidet, alles aus Leder gearbeitet. In seinem Gürtel sah ich ein Messer und einen Tomahawk, den Medizinsack und einen Kugelbeutel. Der letztere bewies mir, daß er sein Gewehr, vielleicht auch sein Pferd in der Nähe versteckt habe, um sich ungehindert anschleichen zu können. Ich wußte, daß er auf keinen Fall das Gespräch beginnen werde, und fragte daher in jenem Gemisch von Englisch und Indianisch, welches längs der Indianergrenze im Gebrauche ist:
»Was wollte der rote Mann bei meinem Feuer?«
»
Tcha-tlo!
« antwortete er knirschend.
Dieses Wort stammt aus dem Navajoes-Dialekte und bedeutet Frosch, Großmaul, Quaker, unnützer Redner, Feigling, der sofort sich verbirgt; es enthielt also eine Beleidigung, die ich aber überhörte. Warum sprach dieser Mann im Navajoes? Er sah mir mehr wie ein Siou aus.
»Du hast recht, dich über diesen Frosch zu ärgern,« antwortete ich; »er hat dich verraten. Hättest du ihn nicht gestört, so wärst du nicht mein Gefangener. Was denkst du wohl, was ich nun mit dir thue?«
»
Ni niskhi tsetsetsokhiskhan shi
– töte und skalpiere mich!« antwortete er.
»Nein, das thue ich nicht,« sagte ich. »Ich bin nicht dein Feind; ich bin ein Freund aller roten Männer. Ich nahm dich nur gefangen, um mich vor Schaden zu bewahren. Zu welchem Volke gehörst du?«
»
Shi tenuai!
«
Das Wort
tenuai
heißt »Männer«; so nennen sich die Navajoes; er meinte also »ich bin ein Navajo«; ich aber antwortete:
»Warum sagst du mir die Unwahrheit? Ich kenne die Sprache der Tenuai; du sprichst sie nicht gut. Ich höre an deiner Aussprache, daß du ein Mann der Tetongs ist. Rede deine eigene Sprache oder die Sprache der Weißen. Ich liebe die Wahrheit und werde dir auch die Wahrheit sagen!«
Da richtete er zum erstenmale das Auge voll und forschend auf mich und sagte:
»Die Bleichgesichter sind über das große Wasser herübergekommen. Dort gibt es lichthaarige, die Engländer, und dunkelhaarige, die Spanier. Zu welchen gehörest du?«
»Zu diesen nicht und zu jenen auch nicht!« antwortete ich.
»Das ist gut! Sie sind Lügner mit lichtem Skalp und Lügner mit dunklem Skalp. Aber zu welchem Stamme gehörst du sonst?«
»Ich gehöre zu dem großen Volke der Germany, welche Freunde der roten Männer sind und noch niemals ihre Wigwams angegriffen haben.«
»Uff!« sagte er überrascht. »Die Germany sind gut. Sie haben nur einen Gott, nur eine Zunge und nur ein Herz.«
»Kennst du sie?« fragte ich, nun meinerseits überrascht.
»Nein,« antwortete er. »Aber ich habe von einem großen weißen Jäger gehört, der ein Krieger der Germany ist. Er tötet den Grizzly mit dem Messer; er wirft jeden Feind mit einem Schlage seiner Faust zu Boden; seine Kugel geht nie fehl, und er redet die Sprachen aller roten Männer. Er ist ihr Freund und darf mitten unter allen weilen, denn keiner wird ihm ein Leid thun.«
»Wie heißt er?«
»Die roten Männer nennen ihn Vauva-shala, tödliche Hand, die weißen Jäger aber rufen ihn Old Shatterhand. Er kennt alle Tiere der Ebene und des Gebirges, denn Winnetou, der große Häuptling der Apachen, ist sein Lehrer gewesen.«
»Würdest du das Kalummet mit ihm rauchen?«
»Er ist ein großer Häuptling; ich müßte warten, bis er selbst mir die Pfeife des Friedens anböte.«
»Er wird sie mit dir rauchen. Sage mir deinen Namen!«
»Man nennt mich
Pokai-po,
das tötende Feuer.«
»Uff! So bist du der zweite Häuptling der Sioux vom Stamme der Tetongs!«
»Ich bin es,« antwortete er mit stolzer Einfachheit.
»Ich habe von dir gehört. Ein Häuptling der Sioux soll nicht gefesselt vor mir liegen. Du bist frei!«
Ich nahm ihm das Lasso von den Gliedern. Er richtete sich empor, blickte mich ganz erstaunt an und sagte:
»Warum gibst du mich frei? Warum tötest du nicht den größten Feind der Bleichgesichter?«
»Weil du ein tapferer
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