Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
Nähe, so war es um ihre Sicherheit geschehen. Die vierzehn Männer des Settlements waren zwar mit guten Waffen und hinreichender Munition versehen, und auch die Frauen und größeren Kinder besaßen Muth und Uebung genug, ein Gewehr abzuschießen; aber was war das gegen eine Herde wilder Gesellen, die zu Hunderten erscheinen konnten! An Stelle dieser Leute hätte ich die Blockhäuser nicht an ihrer gegenwärtigen, exponirten Stelle, sondern hart am Ufer des Sees errichtet, so daß dieselben nur von der Landseite angegriffen werden konnten.
Die Richtung, welche die Railtroublers einschlagen wollten, führte jedenfalls in weiter Entfernung von hier vorüber, dennoch aber bat ich die Settler, auf ihrer Hut zu sein und besonders ihre noch mangelhaften Fenze 7 zu verstärken.
Es war spät, als wir nach Entfernung der übrigen Gäste uns zur Ruhe legten. Wir ruhten in den weichen Betten Hillmann’s, die uns gastfreundlich überlassen worden waren, und schieden am andern Morgen mit herzlichem Danke gegen die braven Leute, die uns noch eine Strecke begleiteten und denen wir versprechen mußten, wieder bei ihnen einzukehren, falls uns unser Weg wieder in die Nähe führe.
Ehe sie Abschied nahmen, traten die acht Sänger nochmals zusammen, um dem Apachen das Ave Maria zu singen. Als sie geendet hatten, reichte er Allen die Hand und sagte:
»Winnetou wird die Töne seiner weißen Freunde nie vergessen. Er hat geschworen, von jetzt an nie mehr den Scalp eines Weißen zu nehmen, denn die Weißen sind die Söhne des guten Manitou, der auch die rothen Männer liebt!«
Dieser Entschluß war die erste Frucht unserer gestrigen Unterredung, und nun hatte ich die Ueberzeugung, daß meine Worte auch noch weiter wirken würden. Das Wort Gottes ist das Senfkorn, dessen Keimen im Verborgenen vor sich geht; hat es aber einmal die harte Kruste durchdrungen, so wächst es im Lichte schnell und fröhlich weiter.
Unsere Pferde hatten sich von dem gestrigen angestrengten Ritte vollständig wieder erholt; sie griffen so aus, daß es eine Freude war. Die Bewohner von Helldorf-Settlement, welches seinen Namen nach dem bayerischen Dorfe führte, aus welchem diese Leute stammten, waren öfters in Echo-Cannon gewesen und hatten uns den kürzesten Weg genau beschrieben, so daß wir bei der Schnelligkeit unserer Pferde hoffen konnten, den Ort bis heute Abend noch zu erreichen.
Winnetou war während des ganzen Tages noch einsilbiger als gewöhnlich, und manchmal, wenn er eine Strecke vor uns ritt und uns also außer Hörweite wähnte, war es mir, als höre ich ihn mit leisem Summen die Melodie des Ave Maria wiederholen, eine Bemerkung, welche mich um so mehr frappiren mußte; als die Indianer fast durchgängig ohne musikalisches Gehör sind.
Am Nachmittage wurden die Umrisse der Berge kühner, mächtiger und steiler. Wir geriethen in ein Labyrinth wundervoller enger und verwickelter Schluchten, bis wir endlich gegen Abend von einer steilen Höhe aus das Ziel unter uns liegen sahen – Echo-Cannon mit dem Schienengeleise und dem friedlichen Arbeiter-Camp, den wir vom Untergange retten wollten. – – –
III.
Am Hancockberg
Unter Cannon versteht der Amerikaner eine tiefe Felsenschlucht. Das gibt sofort ein Bild des Ortes, den wir jetzt erreicht hatten. Die Bahn führte schon längst durch Echo-Cannon, aber der Schienenbau war nur ein provisorischer, und es gab bei Fertigstellung der Bahn so viele Schwierigkeiten zu überwinden, daß eine bedeutende Anzahl Arbeiter nöthig war, diese zu überwältigen.
Eine kleine Seitenschlucht bot uns Gelegenheit, hinabzukommen, und als wir die Tiefe erreichten, trafen wir auch bereits auf die ersten Arbeiter, welche beschäftigt waren, einen Felsen zu sprengen. Sie blickten uns mit Verwunderung entgegen. Zwei fremde, bis an die Zähne bewaffnete Weiße mit einem Indianer an der Spitze, welcher die Kriegsfarben trug, war für sie ein so besorgnißerregender Anblick, daß sie die Werkzeuge weglegten und zu den Waffen griffen.
Ich winkte ihnen mit der Hand, ohne Furcht zu sein, und ritt im Galopp auf sie zu.
»Good day!« grüßte ich. »Legt die Büchsen weg. Wir sind Freunde!«
»Wer seid Ihr?« fragte Einer.
»Wir sind Jäger und kommen mit einer sehr wichtigen Botschaft zu Euch. Wer führt hier in Echo-Cannon den Befehl?«
»Eigentlich Ingenieur Oberst Rudge. Weil dieser aber nicht da ist, so müßt Ihr Euch an Master Ohlers, den Zahlmeister wenden.«
»Wo ist Colonel Rudge?«
»Er ist ausgezogen,
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