Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
Paß Mountains, nachher den Teton Paß selbst und endlich die ganze Tetons Range in einer Länge von über fünfzig englischen Meilen. Aber zu Zweien läßt sich eine so beschwerliche und gefahrvolle Entdeckungsreise nicht ausführen. Haben Sie Steine gefunden?«
»Einige Moosachate, weiter nichts.«
»So lassen Sie einmal sehen! Winnetou kennt jeden Winkel des Felsengebirges. Ich will ihn einmal fragen.«
Da ich wußte, daß ein Indianer über die Gold-und anderen Schätze des Westens nur selten und höchst ungern spricht, so stellte ich meine Frage in der Sprache der Apachen. Ich war aber trotzdem überzeugt, daß er jede Auskunft verweigern werde.
»Will mein Bruder Schar-lih Gold und Steine suchen?« meinte er sehr ernsthaft.
Ich erklärte ihm den Zusammenhang. Er blickte lange vor sich nieder: dann musterte sein dunkles Auge die Anwesenden, und endlich frug er:
»Werden diese Männer dem Häuptling der Apachen einen Wunsch erfüllen?«
»Welchen?«
»Wenn sie mir noch einmal singen, was Winnetou draußen vor dem Thale hörte, so wird er ihnen sagen, wo Steine liegen.«
Ich war im höchsten Grade überrascht. Hatte das Ave Maria auf diesen Indianer einen so tiefen, gewaltigen Eindruck gemacht, daß er entschlossen war, für dasselbe die Geheimnisse der Berge zu verrathen?
»Sie werden es singen,« antwortete ich ihm.
»So mögen sie in den Gros Ventre Bergen suchen; da liegen viele Goldkörner. Und im Thale des Beaverdam Flusses, der sein Wasser in den südlichen Punkt des Yellowstone-See ergießt, liegen sehr viele solche Steine, wie sie diese Männer suchen.«
Während ich den Settlers diese Auskunft mittheilte und ihnen die Lage der beiden angegebenen Punkte erklärte, stellten sich die ersten Nachbarn ein, und wir mußten das Gespräch unterbrechen.
Nach und nach füllte sich der Wohnraum des Blockhauses, und wir feierten einen Abend, wie ich ihn im Westen noch nicht erlebt hatte. Die Männer kannten noch alle Lieder, welche sie in der Heimath und dann später in Chicago gesungen hatten. Als ächte Deutsche liebten sie den Gesang und hatten sich ganz leidlich zu einem Doppelquartette zusammengeübt. Selbst der alte Hillmann sang einen erträglichen zweiten Baß, und so kam es, daß die Pausen des Gespräches mit deutschen Volksliedern und Quartetten ausgefüllt wurden.
Der Apache hörte schweigsam zu; endlich aber frug er mich:
»Wann werden diese Männer ihr Wort halten?«
Darauf hin erinnerte ich Hillmann an das Versprechen, welches ich Winnetou gegeben hatte, und sie begannen das Ave Maria. Kaum jedoch hatten sie begonnen, so streckte der Apache die Hände abwehrend aus und rief:
»Nein! In dem Hause klingt es nicht gut. Auf dem Berge will Winnetou es hören!«
»Er hat Recht,« sagte Bill Meinert. »Dieses Lied muß im Freien gesungen werden. Kommt heraus!«
Die Sänger stiegen eine Strecke die Höhe hinan. Wir Andern blieben im Thale. Winnetou stand neben mir, war aber bald verschwunden. Dann erklang es von oben aus dem Dunkel herab in schönen, rein dahin getragenen Tönen:
»Es will das Licht des Tages scheiden;
Nun bricht die stille Nacht herein.
Ach könnte doch des Herzens Leiden
So, wie der Tag vergangen sein – – –«
Wir lauschten in stiller, lautloser Andacht. Die Finsterniß verhüllte die Sänger und den Ort, an welchem sie standen. Es war, als ob das Lied vom Himmel herab erklänge. Der Componist hatte keine nach Effect haschenden Modulationen, keine kunstreichen Wiederholungen und Umkehrungen, keine anspruchsvolle Verarbeitung des Motivs angewendet. Die Composition erbaute sich nur aus den naheliegenden, leitereigenen Accorden, und die Melodie war einfach wie diejenige eines Kirchenliedes. Aber grad diese Einfachheit, diese Natürlichkeit der Harmonieenfolge gab den Tönen das so tief Ergreifende, dem unsere Herzen nicht widerstehen konnten.
Bereits als das Lied verklungen war, standen wir noch lange still und kehrten nicht eher wieder in die Stube zurück, als bis uns die Rückkehr der Sänger daran erinnerte. Winnetou aber fehlte. Es verging wohl eine Stunde und noch länger, ohne daß er kam, und da wir hier doch von allen Seiten von der Wildniß umgeben waren und ihm also möglicher Weise etwas zugestoßen sein konnte, so warf ich die Büchse über und trat hinaus in das Freie. Vorher jedoch bat ich die Leute, mir nicht zu folgen, außer wenn sie einen Schuß hören sollten. Ich ahnte, was den Apachen in der Einsamkeit zurückhielt.
Der Richtung
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