Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
gegen dreihundert Arbeiter sein.«
»So telegraphirt hin und laßt Euch hundert bewaffnete Männer schicken!«
Er sperrte den Mund auf und starrte mich an; dann sprang er empor, schlug die Hände freudig zusammen und rief:
»Wahrhaftig, daran hätte ich nicht gedacht!«
»Ja, Ihr seid ein ganz gewaltiges, strategisches Genie, wie es scheint! Diese Leute mögen Proviant und Munition mitbringen, wenn es Euch daran fehlen sollte. Und merkt Euch die Hauptsache: es muß Alles so geheim wie möglich gehen, da sonst die rothen Späher merken, daß sie verrathen sind. Telegraphirt das mit! Wie weit ist es von hier bis Promontory?«
»Einundneunzig Meilen.«
»Wird eine Maschine mit Wagen dort sein?«
»Stets.«
»Gut, so können, wenn Ihr jetzt telegraphirt, die Hülfsmannschaften bereits morgen vor Tagesanbruch hier eintreffen. Morgen Abend werden wohl die Späher kommen; bis dahin haben wir Zeit, den Camp noch mehr zu befestigen. Laßt jetzt Eure vierzig Mann zusammengreifen, um die Verfassungsmauer um drei Fuß zu erhöhen! Die Leute von Promontory werden morgen mithelfen. Sie muß so hoch werden, damit die Indsmen nicht hereinsehen und bemerken können, wie viele Männer hier anwesend sind.«
»Sie werden es vom Berge aus sehen, Sir!«
»Sie werden es nicht sehen. Ich werde den Spionen der Ogellallah entgegenziehen und Euch, sobald ich sie bemerke, ein Zeichen geben. Dann verstecken sich Eure Leute in die Blockhäuser, und die Indsmen werden glauben, daß sie es nur mit Wenigen zu thun haben. Noch heut schlagen wir rundum an der Innenseite der Umfassungsmauer Pfähle in die Erde und nageln Bretter oder Bohlen darauf. So entstehen Bänke, auf welche sich beim Ueberfalle unsere Leute stellen, um über die Mauer hinausschießen zu können. Wenn ich richtig vermuthe, so ist der Colonel bereits morgen um die Mittagszeit hier. Dann sind wir mit den Leuten aus Promontory über zweihundertvierzig gegen zweihundert Feinde. Wir stehen hinter den Mauern gedeckt; die Rothen aber haben keine Deckung und erwarten keine Gegenwehr; es wäre also eine Unglaublichkeit, wenn wir sie nicht gleich mit der ersten Salve so heimschicken, daß sie das Wiederkommen vergessen.«
»Und dann verfolgen wir sie!« jubelte der kleine Mann ganz begeistert, denn meine Anordnungen hatten ihm ungeheure Courage gemacht.
»Das wird sich finden! Jetzt aber sputet Euch! Ihr habt Dreierlei zu thun: uns einen Imbiß nebst Nachtlager zu versorgen, nach Promontory zu telegraphiren und Eure Leute zum Bau der Mauer anzustellen.«
»Soll geschehen, Sir, sofort! Es wird mir gar nicht einfallen, vor den Rothen auszureißen. Und was Euch betrifft, so sollt Ihr ein Souper haben, ein Abendessen, mit dem Ihr zufrieden seid. Ich bin nämlich selbst Koch gewesen. Verstanden?«
Es läßt sich in Kurzem sagen, daß Alles so geschah, wie ich es vorgeschlagen hatte. Unsere Pferde bekamen ein gutes Futter und wir ein gutes Essen. Master Ohlers schien wirklich mit dem Küchenlöffel bewanderter zu sein, als mit der Vogelflinte. Die Leute arbeiteten wie die Riesen an der Erhöhung der Mauer. Sie gönnten sich selbst während der Nacht keine Ruhe, und als ich am frühen Morgen vom Schlaf erwachte und nach der Arbeit sah, erstaunte ich über den Fortschritt, den sie gemacht hatten.
Ohlers hatte mit dem hier anhaltenden Nachtzuge mündliche Nachrichten nach Promontory geschickt, doch war schon seine Depesche berücksichtigt worden, denn zwar nicht bereits während der Nacht, sondern am frühen Vormittage noch traf ein Zug ein, welcher die verlangten hundert Männer brachte und mit ihnen Alles, was an Waffen, Munition und Proviant nothwendig war.
Diese Leute machten sich sogleich an die Arbeit, so daß die Mauer bereits am Mittag vollendet war. Auf meine Anregung wurden auch sämmtliche vorhandenen leeren Fässer mit Wasser gefüllt und hinter die Einfassung geschafft. So viele Leute wollten trinken, und man konnte ja nicht wissen, ob man nicht eine kleine Belagerung auszuhalten oder ein Feuer zu löschen haben würde.
Die Nachbarstationen waren benachrichtigt worden, doch sollten die Züge expedirt werden, um die Feinde nicht aufmerksam zu machen.
Nach dem Mittagessen verließen wir Drei, Winnetou, Walker und ich, den Cannon, um nach den Spähern auszublicken. Wir hatten diesen Dienst übernommen, weil wir uns am liebsten auf uns selbst verließen; auch hatte sich von den Railroadern Keiner zu dem gefahrvollen Gange gemeldet. Es wurde ausgemacht, daß im Cannon ein
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