Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
so würde Winnetou ihren Priestern glauben!«
»Warum sind nicht alle rothen Männer so wie mein Bruder Winnetou?« antwortete ich. »Es gibt Gute und Böse unter den weißen und unter den rothen Männern. Die Erde ist weit über tausend Tagereisen lang, und eben so groß ist auch ihre Breite. Mein Freund kennt nur einen ganz kleinen Theil von ihr. Ueberall herrschen die Weißen, aber grad da, wo mein Bruder lebt, in der wilden Savanne, verstecken sich die Bösen der Bleichgesichter, welche vor den Gesetzen der Guten haben fliehen müssen. Darum denkt Winnetou, daß es so viele schlimme Bleichgesichter gibt. Mein Bruder wandert einsam durch die Berge; er jagt den Bison und tödtet seine Feinde. Worüber kann er sich freuen? Lauert nicht der Tod hinter jedem Baum und Strauch auf ihn? Hat er einmal einem Rothen sein ganzes Vertrauen und seine ganze Liebe schenken können? Ist sein Leben nicht blos Arbeit, Sorge, Wachsamkeit und Täuschung gewesen? Findet er Ruhe, Frieden, Trost und Erquickung für seine ermüdete Seele etwa unter den häßlichen Scalpen des Wigwams oder auf dem verrätherischen Lager der Wildniß? Der Heiland der weißen Männer aber sagt: ›Kommt her zu mir Alle, die Ihr mühselig und beladen seid, ich will Euch erquicken!‹ Ich bin dem Heilande nachgegangen und habe den Frieden des Herzens gefunden. Warum will mein Bruder nicht auch zu ihm gehen?«
»Winnetou kennt diesen Heiland nicht!« sagte er.
»Soll ich meinem Freunde von ihm erzählen?«
Er senkte den Kopf und meinte erst nach einer längeren Pause:
»Mein Bruder Schar-lih hat recht gesprochen. Winnetou hat keinen Menschen geliebt als ihn allein; Winnetou hat keinem Menschen vertraut als nur seinem Freunde, der ein Bleichgesicht ist und ein Christ. Winnetou glaubt keinem Menschen als nur ihm allein. Mein Bruder kennt die Länder der Erde und ihre Bewohner; er kennt alle Bücher der Weißen; er ist verwegen im Kampfe, weise am Berathungsfeuer und mild gegen die Feinde. Er liebt die rothen Männer und meint es gut mit ihnen. Er hat seinen Bruder Winnetou niemals getäuscht und wird ihm auch heut die Wahrheit sagen. Das Wort meines Bruders gilt mehr als das Wort aller Medizinmänner und als die Worte alle weißen Lehrer. Die rothen Männer brüllen und schreien; die weißen Männer aber haben eine Musik, die vom Himmel kommt und im Herzen des Apachen weiterklingt. Mein Bruder mag mir verdolmetschen die Worte, welche die Männer dieser Niederlassung heut gesungen haben!«
Ich begann mit der Uebersetzung und Erklärung des Ave Maria. Ich erzählte ihm von dem Glauben der Bleichgesichter, ich suchte ihm das Verhalten derselben gegen die Indianer in einem freundlichen Lichte darzustellen, und ich that dies nicht durch den Vortrag gelehrter Dogmen und spitzfindiger Sophismen, sondern ich sprach in einfachen, schmucklosen Worten, ich redete zu ihm in jenem milden, überzeugungsvollen Tone, welcher zum Herzen dringt, jedes Besserseinwollen vermeidet und den Hörer gefangen nimmt, obgleich er diesen denken läßt, daß er sich aus eigenem Willen und Entschließen ergeben habe.
Winnetou hörte lautlos zu. Es war ein liebevolles Netzauswerfen nach einer Seele, die werth war, aus den Banden der Finsterniß erlöst zu werden. Als ich geendet hatte, saß er noch lange da, in tiefes Schweigen versunken. Ich störte die Nachwirkung meiner Worte durch keinen Laut, bis er sich langsam erhob und mir die Hand entgegen streckte.
»Mein Bruder Schar-lih hat Worte gesprochen, welche nicht sterben können,« sagte er tief aufathmend. »Winnetou wird nicht vergessen den großen, gütigen Manitou der Weißen, den Sohn des Schöpfers, der am Kreuz gestorben ist, und die Jungfrau, welche im Himmel wohnt und den Gesang der Settler hört. Der Glaube der rothen Männer lehrt Haß und Tod; der Glaube der weißen Männer lehrt Liebe und Leben. Winnetou wird nachdenken, was er erwählen soll, den Tod oder das Leben. Mein Bruder habe Dank. Howgh!«
Wir kehrten nach dem Blockhause zurück, wo man um uns beinahe besorgt geworden war. Man hatte sich von den Railtroublers und Ogellallahs unterhalten. Ich bemerkte den Leuten, daß sie ihr Settlement als einen so weit vorgeschobenen Posten eigentlich hätten befestigen sollen. Sie sahen dies ein und beschlossen, das Versäumte baldigst nachzuholen. Es war klar, daß ihre Niederlassung nur wegen ihrer außerordentlich abgeschiedenen Lage den Späherblicken der Wilden bisher entgangen war. Kam ein einziger Indianer in die
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