Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
Auferstehn!
Ave, ave Maria!«
[Fußnoten]
1 »Finstern und blutigen Gründen«. So nennt der Amerikaner den wilden Westen seines Landes.
2 Hose.
3 Frau.
4 Trapperausdruck für »an den Vorderbeinen fesseln.«
5 Läden.
6 Niederlassung.
7 Umzäunungen.
8 Trapperausdruck für »tödten«.
Unter der Windhose
Ein Erlebnis aus dem fernen Westen von Karl May
Es war ein wunderbar schöner Junimorgen, eine wirkliche Seltenheit in jener weit entlegenen Ecke, welche der nordwestliche Winkel des Indianerterritoriums mit den geradlinigen Grenzen von Kansas, Colorado und Neu-Mexiko bildet. Es hatte während der Nacht ziemlich stark getaut; nun funkelten an Halmen und Zweigen brillantene Tropfen, und der eigenartige Duft des Büffelgrases und der kurzlockigen Grama erhielt eine so erquickende Frische, daß die Lunge das balsamische Cumarin in langen, tiefen Zügen einatmete –
Ein solcher Morgen pflegt auf die Stimmung des Menschen von wohlthätiger Wirkung zu sein, und doch ritt ich ziemlich verdrossen in den prachtvollen Tag hinein. Der Grund war ein sehr einfacher: mein Pferd ging lahm. Es war vorgestern im Galoppieren an einer Wurzel hängen geblieben. Und in der Prairie ein lahmes Pferd zu reiten, das ist nicht nur ärgerlich, sondern es kann unter Umständen sogar von den verhängnisvollsten Folgen sein. Bei den dort täglich drohenden Gefahren hängen Leben und Sicherheit des Jägers nur zu oft von der Brauchbarkeit seines Tieres ab.
Ich hatte mit einigen Coloradomännern droben in der Nähe der Spanish Peaks gejagt und war dann über die Willow-Springs hierher nach dem Nescutunga-Creek gekommen, um an dessen rechtem Ufer mit Will Salters zusammenzutreffen, mit welchem ich vor Monaten in Nebraska Biber gefangen und dann beim Scheiden das gegenwärtige Stelldichein verabredet hatte. Wir wollten das Indianerterritorium bis an dessen südöstliche Grenze durchreiten und dann gerade nach Westen in die Llano estacado gehen, um diese berüchtigte Wüste kennen zu lernen.
Dazu war ein gutes Pferd unbedingt nötig, und das meinige lahmte. Es hatte mich treu durch viele Gefahren getragen; ich wollte es gegen kein anderes vertauschen, und so war ich gezwungen, ihm Ruhe zu gönnen, bis der Fuß sich wieder eingerichtet haben werde. Die dadurch entstehende Zeitversäumnis war höchst unangenehm, und so erschien es nicht ganz ungerechtfertigt, daß ich mich nicht bei guter Laune befand.
Während mein Mustang langsam über die Prairie hinkte, sah ich mich nach Anzeichen um, aus denen ich die Nähe des Flusses zu erraten vermochte. Da, wo ich ritt, gab es nur vereinzeltes Buschwerk. Nach Norden hin aber zog sich eine dunkle Linie hin, welche mich auf geschlosseneren Baum-oder Strauchwuchs schließen ließ. Ich lenkte also nach dieser Richtung ab, denn wo sich mehr Vegetation findet, muß auch mehr Wasser sein.
Ich hatte recht gehabt. Die dunkle Linie bestand aus Mezquite-und wilden Kirschensträuchern, welche sich an den beiden Ufern des Flusses hinzogen. Dieser letztere war nicht breit und, wenigstens an der Stelle, an welcher ich auf ihn traf, auch nicht tief.
Ich ritt langsam am Ufer hin, aufmerksam nach einem Zeichen Will Salters’ suchend, der ja schon vor mir hier angekommen sein konnte.
Und richtig! Im seichten Wasser lagen zwei große Steine hart nebeneinander, zwischen welche ein größerer Ast so eingeklemmt war, daß der kleine Zweig, welcher sich an demselben befand, flußabwärts wies.
Dies war unser verabredetes Zeichen, welches ich in kurzen Unterbrechungen noch viermal bemerkte. Salters befand sich hier und war dem Laufe des Wassers nachgeritten. Da seine Fährte nicht mehr zu erkennen war und die Blätter der Signalzweige sich bereits in welkem Zustande befanden, so war Salters nicht später als höchstens gestern hier gewesen.
Nach einiger Zeit bog der Fluß noch mehr nach Norden ab; er schien einen Bogen zu machen. An dieser Stelle zeigte der Ast, welchen Will in den Ufersand gesteckt hatte, in die Prairie hinein. Er war also dem Flusse nicht gefolgt; er hatte den Bogen des Flusses auf der Sehnenlinie abschneiden wollen. Ich that natürlich ganz dasselbe.
Nun gewahrte ich gerade vor mir einen nicht sehr hohen, einzeln stehenden und zerklüfteten Berg, welcher vermöge seiner isolierten Lage ganz geeignet war, dem einsamen Westmanne als Fanal zu dienen. In einer guten halben Stunde hatte ich ihn erreicht. Sein Gipfel war kahl, der untere Teil nur von Buschwerk
Weitere Kostenlose Bücher