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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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schneller bergab, als wir gedacht hatten, da wir uns kaum erhalten konnten. Zum Glücke hielt das Seil, welches von oben langsam herab-und uns nachgelassen wurde.
    Natürlich rissen wir eine Menge Steine und Geröll zur Tiefe hinab; es war ja so dunkel, daß wir dies gar nicht vermeiden konnten. Einer dieser Steine mochte ein Kind getroffen haben, denn es begann zu schreien. Sofort erschien der Kopf eines Indianers in der vom Feuer erleuchteten Spalte. Er hörte und sah das Niederprasseln des Gerölls, blickte in die Höhe und stieß einen lauten Warnungsruf aus.
    »Vorwärts, Winnetou!« rief ich. »Es ist sonst Alles verloren!«
    Die Männer oben merkten, was unten vorging, und ließen das Seil schnell laufen. Eine halbe Minute später hatten wir den Boden erreicht, zu gleicher Zeit aber blitzten uns aus der Spalte einige Schüsse entgegen. Winnetou stürzte zu Boden.
    Ich blieb vor Schreck am Boden kleben.
    »Winnetou, mein Freund,« rief ich, »hat eine Kugel getroffen?«
    »Winnetou wird sterben,« antwortete er.
    Da erfaßte mich eine Wuth, welcher ich nicht zu widerstehen vermochte. Soeben langte Walker hinter mir an.
    »Winnetou stirbt!« rief ich ihm zu. »Drauf!«
    Ich nahm mir nicht erst Zeit, den Stutzen vom Rücken zu reißen oder ein Messer oder einen Revolver zu ergreifen. Mit hoch erhobenen Fäusten stürzte ich mich auf die fünf Indianer, welche bereits aus der Spalte gedrungen waren. Der Vorderste unter ihnen war der Häuptling; ich erkannte ihn sogleich.
    »Ko-itse, fahre nieder!« rief ich ihm zu.
    Ein Faustschlag traf ihn an die Schläfen; er brach zusammen wie ein Holzklotz. Der neben ihm haltende Wilde hatte bereits den Tomahawk gegen mich zum Schlage erhoben; da fiel der Schein der Flamme hell auf mein Gesicht, und er ließ erschreckt das Schlachtbeil niedersinken.
    »
Ká-ut-skamasti
– Schmetterhand!« rief er laut.
    »Ja, hier ist Old Shatterhand. Fahre hin!« rief ich.
    Ich kannte mich nicht. Der zweite Hieb traf den Mann, so daß er niedersank.
    »
Ká-ut-skamasti!
« riefen die Indsmen zaudernd.
    »Old Shatterhand!« rief auch Walker. »Das seid Ihr, Charles? O, da begreife ich Alles. Jetzt haben wir gewonnen! Drauf!«
    Ich erhielt einen Messerstich in die Schulter, aber das fühlte ich gar nicht. Zwei der Wilden fielen von den Schüssen Freds, und den Dritten schlug ich noch nieder. Mittlerweile kamen immer mehrere der Unserigen herab; ihnen konnte ich die Indsmen überlassen. Ich wandte mich zu Winnetou und kniete neben ihm am Boden nieder.
    »Wo ist mein Bruder getroffen?« fragte ich.
    »
Ntságe tche
– hier in die Brust,« antwortete er leise, die Linke auf die rechte Seite der Brust legend, welche sich von seinem Blute röthete.
    Ich riß das Messer heraus und schnitt ihm die Santillodecke, welche sich heraufgeschoben hatte, kurzweg herunter. Ja, die Kugel war ihm in die Lunge gedrungen. Mich erfaßte ein Schmerz, wie ich ihn in meinem ganzen Leben noch nicht gefühlt hatte.
    »Noch wird Hoffnung sein, mein Bruder,« tröstete ich.
    »Mein Freund lege mich in seinen Schooß, daß ich den Kampf erkenne!« bat er.
    Ich that es, und nun konnte er sehen, daß alle Indsmen, sobald sie sich in der Spalte sehen ließen, sofort der Reihe nach in Empfang genommen wurden. Unsere Leute kamen nach und nach alle herab. Die Gefangenen wurden von den Fesseln befreit und erhoben laute Rufe der Freude und Dankbarkeit. Ich beachtete das Alles nicht, ich sah nur den sterbenden Freund, dessen Wunde aufhörte zu bluten. Ich ahnte, daß er sich innerlich verbluten werde.
    »Hat mein Bruder noch einen Wunsch?« fragte ich ihn.
    Er hielt die Augen geschlossen und antwortete nicht; ich aber hielt seinen Kopf in meinen Armen und wagte nicht die geringste Bewegung.
    Der alte Hillmann und die andern von ihren Banden befreiten Settlers griffen nach den umherliegenden Waffen und drangen in die Spalte ein. Auch das beachtete ich nicht. Später trat Walker zu mir, welcher auch blutete, und meldete:
    »Sie sind Alle ausgelöscht!«
    »Dieser wird auch auslöschen!« antwortete ich. »Sie alle sind nichts gegen diesen Einen!«
    Noch immer lag der Apache bewegungslos. Die braven Railroaders, welche sich so gut gehalten hatten, und die Settlers mit den Ihrigen bildeten um uns einen stummen, tief ergriffenen Kreis. Da endlich schlug Winnetou die Augen auf.
    »Hat mein guter Bruder noch einen Wunsch?« wiederholte ich.
    Er nickte und sagte leise:
    »Mein Bruder Schar-lih führe diese Männer in die Gros Ventre

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