Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
Berge. Am Metsur-Flüßchen liegt viel Gold. Sie haben es verdient!«
»Was noch, Winnetou?«
»Mein Bruder vergesse den Apachen nicht. Er bete für ihn zum großen, guten Manitou! Können diese Gefangenen mit ihren wunden Gliedern stehen?«
»Ja,« antwortete ich, obgleich ich sah, wie die Hände und Füße der Settlers unter den schneidenden Fesseln gelitten hatten.
»Winnetou bittet sie, ihm das Lied von der Königin des Himmels zu singen!«
Sie hörten diese Worte. Ohne erst meine Bitte abzuwarten, winkte der alte Hillmann. Sie erklimmten einen Felsenabsatz, der zu Häupten Winnetou’s hervorragte, um den letzten Wunsch des Sterbenden zu erfüllen. Seine Augen folgten ihnen und schlossen sich dann, als sie oben standen. Er ergriff meine beiden Hände und hörte nun das Ave Maria beginnen:
»Es will das Licht des Tages scheiden;
Nun bricht die stille Nacht herein.
Ach, könnte doch des Herzens Leiden
So, wie der Tag vergangen sein!
Ich leg mein Flehen Dir zu Füßen,
O trags empor zu Gottes Thron,
Und laß, Madonna, laß Dich grüßen
Mit des Gebetes frommem Ton:
Ave, ave Maria!«
Als nun die zweite Strophe begann, öffneten sich langsam seine Augen und richteten sich mit mildem, lächelndem Ausdrucke zu den Sternen empor. Dann drückte er mir die Hände und flüsterte:
»Char-lih, nicht wahr, nun kommen die Worte vom Sterben?«
Ich nickte weinend, und die dritte Strophe begann:
»Es will das Licht des Tages scheiden;
Nun bricht des Todes Nacht herein.
Die Seele will die Schwingen breiten;
Es muß, es muß gestorben sein.
Madonna, ach, in Deine Hände
Leg ich mein letztes heißes Flehn:
Erbitte mir ein ruhig Ende
Und dann ein selig Auferstehn!
Ave, ave Maria!«
Als der letzte Ton verklungen war, wollte er sprechen – es ging nicht mehr. Ich brachte mein Ohr ganz nahe an seinen Mund, und mit der letzten Anstrengung der schwindenden Kräfte flüsterte er:
»Schar-lih, ich glaube an den Heiland. Winnetou ist ein Christ. Lebe wohl!«
Es ging ein convulsivisches Zittern durch seine Glieder, ein Blutstrom quoll aus seinem Munde; der Häuptling der Apachen drückte nochmals meine Hände und streckte seine Glieder. Dann lösten sich seine Finger langsam von den meinigen – – er war todt!
Was soll ich weiter erzählen? Die wahre Trauer liebt die Worte nicht! Käme doch bald die Zeit, in der man solche blutige Geschichten nur noch als alte Sagen kennt!
Die Settlers waren wirklich bestimmt gewesen, durch ihren Martertod den Tod der im Echo-Cannon gefallenen Ogellallah zu sühnen. Glücklicher Weise kam es nicht so weit.
Am andern Morgen verließen wir diesen traurigen Ort, da wir jeden Augenblick das Eintreffen der Wilden erwarten konnten. Der Leichnam des Apachen wurde in Decken gehüllt und auf ein Pferd befestigt. Von hier bis in die Gros Ventre Berge war es nur zwei Tagereisen; dorthin richteten wir unsern Weg, und zwar so vorsichtig, daß kein Indianer unsere Spur aufzufinden vermochte.
Am Abende des zweiten Tages erreichten wir das Thal des Metsur-Flüßchens. Dort haben wir den Indianer begraben, unter christlichen Gebeten und mit den Ehren, die einem so großen Häuptlinge bewiesen werden müssen: Er sitzt mit seinen sämmtlichen Waffen und seinem vollständigen Kriegsschmucke aufrecht auf seinem deshalb erschossenen Pferde im Innern des Erdhügels, welchen wir um ihn wölbten. Auf diesem Hügel wehen nicht die Scalpe erschlagener Feinde, wie man es auf dem Grabe eines Häuptlings zu sehen gewohnt ist, sondern es sind drei Kreuze darauf errichtet worden.
Im Sande des Thales fand sich Goldstaub die Menge, um die Railroaders für den Verfolgungsritt zu entschädigen. Eine Anzahl von ihnen entschloß sich, mit den Settlers hier eine Ansiedelung zu gründen, welche wieder den Namen Helldorf führt. Die Andern kehrten nach Echo-Cannon zurück, wo sie erfuhren, daß der Railtroubler Williams an seiner Wunde gestorben sei. Seine Mitgefangenen wurden bestraft.
Das Glöckchen, welches Winnetou vergraben hatte, ist nach der neuen Ansiedelung geholt worden, wo die Settlers wieder ein Kapellchen errichtet haben. Wenn nun seine helle Stimme erschallt und die frommen Ansiedler ihr Ave Maria ertönen lassen, so denken sie stets an den Häuptling der Apachen und sind überzeugt, daß ihm erfüllt worden ist, was er sterbend durch ihre Lippen betete:
»Madonna, ach, in Deine Hände
Leg ich mein letztes, heißes Flehn:
Erbitte mir ein gläubig Ende
Und dann ein selig
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