Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
Stunde wird sie mein Bruder sehen. Er folge mir, lasse aber seine Gewehre zurück.«
»Ich allein?«
»Ja. Wir sind hier am Orte des Todes. Nur ein fester Mann wird bestehen. Unsere Brüder mögen sich unter den Bäumen verbergen und warten!«
Der Berg, an dessen Fuße wir uns befanden, war ein vulkanisches Gebilde von der Breite von vielleicht dreiviertel Stunden. Ich legte die Büchse und den Stutzen ab und folgte Winnetou, welcher an der westlichen Seite des Berges emporzusteigen begann. Er hielt in kurzen Schlangenlinien nach dem Gipfel zu. Es war ein sehr beschwerlicher Weg, und mein Führer legte ihn mit einer Vorsicht zurück, als ob er hinter jedem Strauche einen Feind zu erwarten habe. So dauerte es wirklich eine Stunde, bis wir ganz oben an der Spitze anlangten.
»Mein Bruder sei ganz still und unhörbar!« flüsterte er, indem er sich auf den Bauch legte und zwischen zwei Büschen langsam hindurchkroch.
Ich folgte ihm und – wäre beinahe ganz erschrocken zurückgewichen, denn kaum hatte ich den Kopf durch die Zweige gesteckt, so erblickte ich grad vor meinem Gesichte den trichterförmigen, steilen Abgrund eines Kraters, dessen Rand ich mit der Hand erreichen konnte. Dieser Abgrund war nur mit einzelnen Sträuchern bestanden und wohl an die hundertundfünfzig Fuß tief. Unten bildete er eine vielleicht vierzig Fuß im Durchmesser haltende Fläche, und da lagen – die von uns gesuchten Bewohner von Helldorf-Settlement, an Händen und Füßen gebunden. Ich besiegte meine Ueberraschung und zählte die Leute. Es fehlte Keiner; aber bei ihnen befand sich eine zahlreiche Ogellallah-Wache.
Ich untersuchte jeden Fußbreit dieses ausgebrannten Kraters, ob man von hier hinunter könne. Ja, es ging, wenn man kühn war, ein tüchtiges Seil besaß und ein Mittel fand, die Wache zu entfernen. Es befanden sich mehrere Felsenvorsprünge da, welche man als Anhalte-und Ruhepunkte benutzen konnte.
Jetzt zog sich Winnetou zurück, und ich that desgleichen.
»Das ist die Höhle des Berges?« fragte ich.
»Ja.«
»Wo ist der eigentliche Eingang?«
»An der Seite, die gegen Osten liegt. Aber kein Mensch kann ihn erzwingen.«
»So steigen wir hier hinab. Wir haben Lasso’s, und unsere Bahnarbeiter sind mit Pferdestricken reichlich versehen.«
Er nickte und wir begannen den Abstieg. Es war mir völlig unbegreiflich, warum die Indianer die westliche Seite des Berges nicht bewachten. Eine unbemerkte Annäherung wäre uns dann unmöglich gewesen.
Als wir unten wieder ankamen, tauchte die Sonne hinter dem Horizont hinab, und wir begannen unsere Vorbereitungen. Es wurden alle vorhandenen Stricke gesammelt und zu einem längeren Seile verbunden. Winnetou las sich zwanzig der gewandtesten Männer aus; die Andern sollten die Pferde bewachen. Zwei von diesen aber sollten sich dreiviertel Stunden nach unserm Fortgange auf die Pferde werfen und in einem Bogen um den Berg herum nach Osten reiten, um weit draußen einige Feuer anzuzünden, doch so, daß die Prairie nicht anbrannte; dann aber sollten sie schleunigst zurückkehren.
Als es vollständig dunkel geworden war, traten wir die beschwerliche Wanderung an. Wir brauchten länger als eine Stunde, bis wir den Rand des Kraters erreichten. Unten brannte ein mächtiges Feuer, und bei dem Scheine desselben sahen wir die Gefangenen und ihre Wächter liegen. Kein Wort, kein Laut drang herauf zu uns.
Wir befestigten zunächst das Seil, welches lang genug war, an einen Steinblock und warteten dann auf das Erscheinen der Feuer. Es dauerte nicht lange, so erschienen dort im Osten nach einander drei, vier, fünf Flammen, welche den Feuern eines Lagers ganz ähnlich sahen. Jetzt blickten und horchten wir gespannt nach dem Kessel hinab. Wir sollten uns nicht getäuscht haben, denn bereits nach kurzer Zeit sahen wir einen Wilden aus einer Spalte erscheinen, der den Andern einige Worte sagte. Diese erhoben sich sofort und verschwanden mit ihm durch die Spalte.
Jetzt war es Zeit für uns. Ich ergriff den Anfang des Seiles, um den Ersten zu machen, jedoch Winnetou nahm ihn mir aus der Hand.
»Der Häuptling der Apachen ist der Führer,« sagte er. »Mein Bruder komme hinter ihm.«
Es war ausgemacht worden, daß die Unserigen uns in solchen Zwischenräumen folgen sollten, daß, nachdem das Seil den Boden erreicht habe, sich nur je Vier auf einmal an demselben befanden. Winnetou trat an. Ich ließ ihn bis zum ersten Vorsprunge kommen und folgte dann. Mir folgte Fred. Es ging viel
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