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Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Titel: Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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zu antworten.
    »Ich weiß nicht, Eileen, das klingt so juristisch, ist alles Polizeisprache, ich weiß es nicht.«
    »Man gewöhnt sich daran«, hatte sie gesagt, »an das Juristische und die Polizeisprache. Nach einer Weile schaut man dahinter.«
    Dann hatte sie mit Namen und Adressen begonnen, seitenweise. Und dann mit den Briefen. Sie schrieb Briefe über Weeny an das halbe Land, dachte er, wandte sich an Lord X und Sir Y und Richter Z. Er hatte sich einige der Briefe angeschaut, wenn sie im Bad war. Sie waren alle gleich, baten um Hilfe bei diesem Fall, baten darum, dass Briefe geschrieben wurden, stellten die Frage, wie es hatte geschehen können, dass Weeny für furchtbare, entsetzliche Verbrechen verhaftet wurde, die sie nicht begangen haben konnte, baten um mehr Namen und Adressen, um mehr Menschen, die sich ihrer Kampagne anschließen würden, baten, baten, baten. Nach einer Weile waren die Antworten eingetroffen. Dann hatte Eileen begonnen, Leute, Zeitungen, Polizeireviere, Abgeordnete, Richter anzurufen. Das halbe Land. Die halbe Welt.
    Er kochte sich sein Essen selbst. Sie aß eine Banane und eine Schachtel Kekse oder schnitt sich ein Stück Käse ab und machte Tee. Auf jedem Regal, jedem Fensterbrett standen Teebecher. Die Spüle war voll mit leeren Teebechern. Er wusch sie ab und stellte sie weg und räumte die Küche auf und ging in den Supermarkt und kochte und versuchte, Eileen zum Essen an den Tisch zu bekommen, und gab schließlich auf und aß alleine. Aber nach einer Weile hatte er sich angewöhnt, ins Café zu gehen und den schaumigen Kaffee aus den hohen Gläsern zu trinken, mit drei Löffeln Zucker, die er mit dem langen Löffel umrührte. Er las die Zeitungen, versuchte sich an den Kreuzworträtseln, verfolgte die Rennergebnisse, lernte, wie man Worträder machte, und erhöhte seine Bewertungen von Mittelmäßig zu Gut und einmal sogar Sehr Gut.
    Sein Leben war auf den Kopf gestellt worden, und er fand keine Handhabe, was er dagegen unternehmen und wie er es wieder auf die Füße stellen, wie er helfen, wie er Eileen zur Vernunft bringen sollte. Wie. Wie. Eines wusste er. Er hätte es nie laut gesagt, nicht zu Eileen, zu niemandem. Aber er wusste es. Man verhaftete keinen Menschen für entsetzliche Dinge wie diese, ohne sich sicher zu sein. Da ging es nicht um Ladendiebstahl, sagen wir, oder um Taschenraub. Sie verhafteten keinen und machten es offiziell, wenn es Zweifel gab, wenn es nur eine Ähnlichkeit war, eine begründete Vermutung.
    Er kannte Weeny nicht. Sie war einmal vorbeigekommen, hatte angerufen, von unterwegs, wie sie sagte, hatte einen dürftigen Blumenstrauß mitgebracht, eine Tasse Tee getrunken und einen Keks gegessen. Ein schmächtiges Ding, dunkle Haare, dunkle Jacke, dunkle Jeans. Als sie fort war, hatte er das merkwürdige Gefühl gehabt, dass niemand da gewesen war, niemand, den er festnageln oder an den er sich erinnern konnte, eine Art Nichts, ein kleiner, dunkler, flüchtiger Schatten. Sie hatte nicht viel zu ihm gesagt, aber es war alles sehr nett, sehr freundlich gewesen. Doch er konnte sich kaum daran erinnern. Es war, als wären selbst ihre Worte nicht da gewesen, hätten keine Spur hinterlassen, nur Atem, der verdunstet war und nichts in seinem Gedächtnis zurückließ.
    Er schaute auf die Zeitung. Musselburgh 3:30. Es gab die Wahl zwischen Empire Gold und Miljahh. Nichts sprach mehr für das eine oder für das andere. Vielleicht sollte er auf beide setzen, je einen Fünfer. Das wären etwa sieben Pfund Gewinn für den jeweiligen Sieger. Lohnte es sich, deswegen zum Buchmacher zu gehen und Schlange zu stehen, für sieben Pfund Gewinn, immer vorausgesetzt, dass er recht hatte und eines der beiden gewann? Im Café war es ruhig. Die zum Hof führende Tür hinter dem Tresen war geöffnet, um Luft hereinzulassen und damit auch den Geruch der Mülleimer.
    Beim Buchmacher würde es nach Schweiß und Rauch riechen.
    Eileen würde ausdrucken und auf die Tastatur hämmern, das Gesicht nahe am Bildschirm.
    Er spürte, wie er in Verzweiflung versank. Er wollte jemanden fragen, was er tun, was er sagen, wie er helfen, wie er Eileen unterstützen und sie gleichzeitig aus ihrem Käfig befreien konnte, dem Käfig des Versuchs, etwas zu beweisen, was unbeweisbar war, nämlich, dass Weenys Verhaftung ein entsetzlicher Irrtum war. Es war kein Irrtum, und das konnte er niemals sagen. Sie hatte ihn immer wieder gefragt, was er dachte, ob er Briefe schreiben würde, und seine Zunge

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