Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
Tränen.
Chris streckte ihr die Hand hin.
»Wir sollten uns nicht streiten. Alles Mögliche kann passieren. Ich sag den Kinder, dass sie runterkommen können.«
»O nein. Sie haben sich beide wie Lümmel benommen und sollen sich erst mal abkühlen.«
»Danke, dass du den Kaffee gemacht hast. Und ich meine es ehrlich – wegen der Arbeit.«
»Ich weiß. Aber es wäre eine zu große Bürde für dich, und falls ich versage, würde es sehr schwer werden, wieder als praktischer Arzt zu arbeiten. Vergiss es. Nur …« Sie wusste, was er sagen würde. »Könntest du dir vorstellen, drei Monate Urlaub zu machen? Jemanden zu bezahlen, für die Zeit alles zu übernehmen?«
»Australien?«
»Die Kinder sind noch jung genug, so lange aus der Schule genommen zu werden, aber es ist das letzte Jahr, in dem wir das machen können. Für sie wäre es das Abenteuer ihres Lebens, und wir könnten unsere Akkus aufladen.«
»Sechs wäre besser.«
»Sechs?«
»Monate. Wenn wir es schon machen. Sie könnten dort sogar zur Schule gehen.«
»Ist das dein Ernst?«
Cat schenkte Kaffee nach, lehnte sich zurück und überlegte. Sechs Monate fort von allem war für sie nicht der Punkt, aber das war es für Chris. Sechs Monate reisen, in Sydney leben, den Kindern den Geschmack einer anderen Welt vermitteln; sechs Monate. Wenn sie das Bauernhaus zusammen mit der Praxis zur Verfügung stellten, könnte es leichter sein, Leute dafür zu finden. Haus, Auto, Pony, Hühner.
»Simon«, sagte sie laut.
Chris stöhnte.
»Mum und Dad.«
»Irgendjemand wird es immer sein.«
»Sechs Monate sind gar nichts für irgendjemanden, außer für sie.«
»Wie lange fliegt man von Australien nach England?«
»Ich weiß. Du hast recht. Natürlich hast du recht.«
»Das reicht nicht.«
Cat lachte. »Okay«, sagte sie. »Abgemacht. Fang an, Erkundigungen einzuziehen.«
»Oh, das hab ich bereits.« Er stand auf und lief ins Haus.
Siebenundfünfzig
D er Strand war fast leer. In der Ferne spielte eine Familie eine späte Partie Strandcricket. Neben dem Geländer am Südufer stapelten zwei junge Männer die letzten Liegestühle. Das Wasser war weit draußen, der Sand an der Flutlinie flach und schimmernd. Es war wieder heiß gewesen, zu heiß. Jetzt begann der beste Teil des Tages. Bald würden die Uferlichter angehen. Gordon Prior ging am Strand entlang, weg von der Stadt. Er lief oft vier bis fünf Kilometer in diese Richtung. Es war immer leer, er sah niemanden. Noch wurde es nicht dunkel.
Sein schwarzweißer Hund flitzte am Rand des Wassers entlang, wich den kleinen Wellen aus, hinterließ Pfotenabdrücke, die hinter ihm verschwanden, während er rannte. Dann blieb er stehen und wartete. Gordon neckte ihn mit dem Ball, tat so, als würde er ihn hierhin werfen, dann dorthin, hinaus ins Meer, zurück nach dort, woher sie gekommen waren. Buddy wartete. Er kannte das.
»Hol ihn dir!« Der Ball segelte durch die Luft. Buddy rannte, ließ das Wasser aufspritzen.
Fünf Sekunden später war er zurück. Der Ball lag vor Gordons Füßen. Diesmal gab es kein Necken, Gordon warf, fest und weit. Buddy sauste los.
Gordon sah aufs Meer hinaus. Ein Tanker war am Horizont zu sehen, ein gemaltes Bild auf einem gemalten Ozean, scheinbar vollkommen still. Gordon lebte schon sein ganzes Leben hier und hatte nie die Möglichkeit gehabt, es so zu genießen, wie er es jetzt tat, morgens und abends, wenn er mit dem Hund herkam, hatte nie zu schätzen gewusst, was direkt vor seiner Nase lag, weil er die Zeit dazu nicht gehabt hatte. Er war sechsundsechzig. Er hoffte, dass er es noch weitere zwanzig Jahre genießen konnte.
Er schaute sich um. Buddy war nirgends zu sehen. Gordon pfiff. Näher bei der Stadt, weit weg und außer Sichtweite, würde das Cricketspiel beendet sein. Die Liegestühle würden gestapelt und abgedeckt worden sein. Er wandte sich vom Meer ab, ging auf die Felsen, Höhlen und Klippen zu, pfiff dabei die ganze Zeit.
So was passierte. Der Ball würde sich in einem Felsspalt verfangen haben oder in einer für Buddy zu tiefen Gesteinsmulde liegen. Nach ein paar Minuten hörte Gordon den Hund bellen. Zuerst war es schwierig zu lokalisieren, woher das Bellen kam. Gordon erreichte die Felsen und schlängelte sich hindurch, rief und pfiff und achtete darauf, nicht auf dem leuchtend grünen Seetang auszurutschen.
Das Bellen wurde dringlicher, und schließlich verfolgte er es zu einer der Höhlen, die in die Klippe hineinführten. Er blieb am Eingang stehen
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