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Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Titel: Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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altes Porzellan aus den Regalen gefegt, und sowohl aus dem Schreibtisch wie auch aus einem kleinen Tischchen waren die Schubladen herausgezogen und auf den Boden gekippt worden. Über allem hing ein unverkennbarer Uringeruch.
    Während Jane noch dastand, sich entsetzt umschaute und alles in sich aufzunehmen versuchte, hörte sie ein schwaches Geräusch aus der Küche.
    Magda lag auf dem Boden neben dem Herd. Das eine Bein klemmte verkrümmt unter ihr, und an ihrem Kopf war getrocknetes Blut, verfilzte ihr Haar und hatte seitlich an ihrem Gesicht eine Kruste gebildet. Ihre Haut sah grau aus, ihr Mund war verkniffen.
    Jane kniete sich neben sie und griff nach ihrer Hand. Sie war kalt und der Puls schwach, doch ihre Mutter war bei Bewusstsein.
    »Jane …?«
    »Wie lange liegst du schon hier? Wer hat dir das angetan? O Gott, du hast mich angerufen, und ich hab’s nicht begriffen.«
    »Ich, ich glaube … seit heute Morgen? Jemand hat an der Tür geklingelt und … nur … ich konnte nicht wieder hochkommen und ans Telefon gehen … ich … dachte du würdest …«
    »Ganz ruhig, ich rufe einen Krankenwagen und die Polizei. Ich hol dir eine Decke, aber beweg dich nicht, überlass das lieber denen … warte kurz.«
    Jedes Zimmer, in das sie beim Hinauflaufen blickte, war durchwühlt und verwüstet worden. Ihr wurde übel.
    »Das wird dich warm halten. Sie werden gleich da sein.«
    »Ich gehe nicht ins Krankenhaus …«
    Doch Jane rief bereits den Notarzt an.
    »Ich sterbe, wenn ich ins Krankenhaus muss.«
    »Du wirst eher sterben, wenn du es nicht tust.«
    Jane setzte sich auf den Boden und griff nach der Hand ihrer Mutter. Magda war eine hochgewachsene, kräftige Frau, deren graues Haar für gewöhnlich in einem eigenwilligen Knoten hochgesteckt war. Jetzt war es offen und zerzaust; ihre Gesichtszüge, so charaktervoll, so scharf geschnitten mit der Adlernase und den hohen Wangenknochen und der klaren Stirn, schienen eingesunken zu sein, so dass sie eher wie achtzig aussah statt der achtundsechzig Jahre, die sie alt war. Innerhalb von ein paar Stunden hatten Alter und Verletzlichkeit sie eingeholt und auf erschreckende Weise verändert.
    »Hast du Schmerzen?«
    »Das ist … schwer zu sagen … Ich fühle mich taub …«
    »Was war das für ein Mann? Wie ist das um Gottes willen passiert?«
    »Zwei … Jugendliche … Ich hab ein Auto gehört … Kann mich nur schwer erinnern.«
    »Mach dir keine Gedanken. Ich bin bloß wütend auf mich, dass ich nicht früher gekommen bin.«
    Erst in dem Moment huschte der alte Ausdruck über das Gesicht ihrer Mutter, derjenige, den Jane in den letzten Jahren so oft gesehen hatte. Magdas Blick fiel kurz auf Janes Kragen, und da war er, sogar jetzt, nach allem, was passiert war – der Ausdruck von Verachtung und Ungläubigkeit.
    Magda Fitzroy war eine Atheistin alter Schule. Atheistin, Sozialistin, Psychiaterin, Rationalistin, geformt nach dem klassischen Hampstead-Modell. Woher der christliche Glaube ihrer Tochter, ganz zu schweigen von dem Wunsch, zur Priesterin ordiniert zu werden, kam, war ihr sowohl ein Rätsel als auch etwas, worüber sie sich lustig machte. Und dann war der Blick wieder verschwunden. Ihre Mutter lag verletzt am Boden, war verängstigt und stand unter Schock, und Jane hatte tiefes Mitgefühl; sie ließ die Sanitäter herein und erzählte ihnen das Wenige, was sie wusste.
    Einer der beiden untersuchte die Schnitte an Magdas Kopf. »Ich bin Larry«, sagte er, »und das ist Al. Wie heißen Sie, meine Liebe?«
    »Ich heiße Dr. Magda Fitzroy, und ich bin nicht Ihre Liebe.«
    »Ach, wie schade, Magda.«
    »Dr. Fitzroy.«
    Er blickte zu Jane auf. »Ist sie immer so?«
    »O ja. Achten Sie nicht darauf.«
    »Ist mit Ihnen alles in Ordnung?«
    Jane hatte sich plötzlich gesetzt, überwältigt von der Erkenntnis, dass ihre Mutter an einem ruhigen Werktagmorgen, während die Welt ihren Geschäften nachging, in ihrem eigenen Haus überfallen und ausgeraubt worden war und daran genauso gut hätte sterben können. Sie brach in Tränen aus.

Sechs
    D as Holly Bush wirkt wie einem Hammer-Horrorfilm entsprungen, dachte Ed bei der Fahrt den steilen Hang zum Vorhof hinauf. Es stand hoch über der Schnellstraße, hässlich, mit Zinnen bewehrt und nachts von Neonlampen und bunten Lichtern beleuchtet. Um die Weihnachtszeit warf ein erleuchteter Weihnachtsmann mit Schlitten und Rentier dem vorbeifahrenden Verkehr anzügliche Blicke zu, umgeben von endlos blinkenden

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