Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
einem bösen, hämischen Tanz umkreisen. Und dann ging ihr in Übelkeit erregender Weise auf, dass genau das auch Karin McCafferty passiert war – als sie nach Hause kam, um ihrem Mann glücklich zu berichten, dass alle Scans sauber waren, der Krebs verschwunden, nur um im nächsten Moment damit konfrontiert zu werden, dass ihr Mann sie verlassen wollte, um mit einer anderen Frau in New York zusammenzuleben.
»Die Frau war nicht mal jünger«, sagte sie laut. »Ich weiß nicht, warum es das besser gemacht hätte, aber es ist so. Sie war älter. Eine ältere Frau, Himmel noch mal.«
Chris starrte sie verständnislos an.
»Karin«, sagte sie dumpf. »Als Mike sie verlassen hat.«
»Was hat das damit zu tun?«
»Hat es nicht?«
Eine Pause entstand, dann schloss Chris die Augen. »Oh, du lieber Gott.« Er griff nach ihren Händen. »Es hat damit zu tun, dass ich es satthabe und müde bin und fast ausgebrannt. Es hat damit zu tun, dass ich es nicht mehr machen will. Ich will nicht mehr sein, was ich bin.«
»Und das wäre? Ehemann? Vater?«
»Natürlich nicht Ehemann und Vater. Ein Allgemeinmediziner. Ich will kein Allgemeinmediziner mehr sein.«
»Aber du bist durch und durch Arzt, du bist …«
»Ich habe nicht ›Arzt‹ gesagt, sondern Allgemeinmediziner. Das ist es, wovon ich genug habe. Du bist es immer noch mit Begeisterung. Ich fange an, es zu hassen, und wenn ich es nicht hasse, dann ärgert es mich. Der Beruf hat sich verändert, die Bürokratie geht mir auf den Geist … Aber es ist nicht nur das … Ich will es nicht mehr machen. Wenn ich weitermache, werde ich ein schlechter Arzt.«
»Wir brauchen Urlaub, das ist alles.«
»Nein. Das ist nicht alles. Wir haben Urlaub gemacht, und ich habe mich kein bisschen besser gefühlt. Hör zu, ich wollte mit dieser Riesensache nicht mitten in der Nacht anfangen, wenn wir beide völlig fertig sind.«
»Was willst du wirklich?«
»Eine weitere Ausbildung machen … na ja, teilweise. Ich möchte in die Psychiatrie zurück.«
»Ich glaube, ich muss weinen. Oder mich übergeben.«
»Schock?«
»Erleichterung. Nicht Australien, keine andere Frau.«
»Australien habe ich aufgegeben, und welche andere Frau würde mich nehmen?« Er ging ins Badezimmer. » Was war das mit der Frau, die verhaftet wurde?«
Vierzehn
V ater im Himmel, spende ihnen Trost in ihrem Leiden. Wenn sie sich fürchten, gib ihnen Mut, wenn sie betrübt sind, verleihe ihnen Geduld, wenn sie niedergeschlagen sind, gewähre ihnen Hoffnung, und wenn sie allein sind, versichere sie des inständigen Beistands deines heiligen Volkes, durch Jesus Christus, unseren Herrn.«
Die Kerzenflammen flackerten nur schwach, und die Lampen machten eine glimmende Höhle aus der Kapelle von Christus unserem Heiler. Die großen Kathedralenräume hinter Jane Fitzroy lagen im Dunkeln. Sie kniete allein vor dem kleinen Altar, auf dem ein überraschend modernes goldenes Kreuz stand.
Sie liebte es, hier die letzte Andacht des Tages allein zu halten. Heute war sie gekommen, um für zwei Patienten zu beten, die in Imogen House gestorben waren, und für einen weiteren, der vermutlich in ein paar Stunden sterben würde. Die abendliche Stille der Kathedrale erschien ihr nicht hohl oder leer, sondern angefüllt mit Jahrhunderten von Gebeten. Sie konnte verstehen, warum Menschen sich dem klösterlichen Leben hingaben.
Sie beugte den Kopf für einen weiteren Moment, um sich selbst Gott anzuvertrauen, und dabei ließ ein Geräusch sie zögern. Sie meinte gehört zu haben, wie eine Tür beim Öffnen über den Steinfußboden scharrte. Sie wartete. Nichts. Wieder Stille.
Sie beugte den Kopf.
Schritte kamen durch den Seitengang näher, jemand auf weichen Sohlen.
Die Haupttüren würden geschlossen und verriegelt sein, doch die Seitentür war offen und sollte erst von ihr verschlossen werden, wenn sie ging.
Sie erhob sich. »Ist da jemand?«
Die Schritte verstummten.
»Hallo?« Die Kerzenflammen brannten gleichmäßig, nur ihre Stimme zitterte leicht. »Kann ich Ihnen helfen?«
Nichts. Sie überlegte, ob sie zuversichtlich vortreten oder lieber abwarten sollte. Die Schritte kamen näher.
»Die Kathedrale ist eigentlich geschlossen, aber wenn Sie gekommen sind, um zu beten, bleiben Sie ruhig noch ein paar Augenblicke, ich kann noch einiges erledigen, bevor ich gehe.«
Ein Mann stand an dem offenen Gitter der Kapelle. Er kam nicht herein. Er hatte Stoppeln am Kinn und auf dem Kopf, trug eine blaue Matrosenjacke
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