Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
Erstarrte, hörte etwas. Irgendein Knacken oder Kratzen draußen, ein angestoßener Stein, ein lockerer Ziegel?
Natürlich konnte sie nicht bei offenem Fenster schlafen.
Es war nach Mitternacht. Sie packte ihre Einkäufe aus und räumte sie weg, setzte Milch auf, nahm einen Becher und die Dose mit Kakaopulver heraus, einen Löffel. Legte alles auf den Tisch. Das kleinste Geräusch klang unheimlich, laut und hohl, und wenn es verstummte, war die Stille vollständig, eine nervöse, gespannte, unfreundliche Stille.
Resolut trug sie das heiße Getränk ins Arbeitszimmer und nahm ihr Gebetbuch vom Schreibtisch.
»O Herr, stehe uns während der Tage dieses beschwerlichen Lebens bei. Bis die Schatten länger werden und der Abend kommt.«
Sie verbrachte einige Zeit im Gebet, las dann die Abendandacht und danach in ihrer Bibel, so dass es weit nach ein Uhr war, als sie zu Bett ging. Aber die Stille hatte eine andere Qualität angenommen, war zu einer Ruhe geworden, angenehm und besänftigend, statt eine angsterfüllte Stille zu sein. Eine halbe Stunde lang las sie in Antonia Byatts Besessen und knipste dann das Licht aus. Sie spürte eine tiefe Erschöpfung, die ihr Gehirn dämpfte und ihre Glieder schwer machte. Schlaf würde ein Segen sein.
Sie erwachte aus einem Alptraum schleimiger Dunkelheit, in der sie an einer ekelhaften Masse gewürgt hatte und ihre Lunge von Klingen durchstoßen worden war, und schoss voller Angst schweißgebadet hoch. Beim Griff nach der Lampe stieß sie sie krachend zu Boden. Jane schrie auf, schüttelte sich, stieg auf der anderen Seite, weg von dem zerbrochenen Lampenfuß, aus dem Bett und tastete sich zum Schalter an der Tür vor. Währenddessen hörte sie ein Geräusch im Garten.
Nein, sagte sie sich, im Garten ist nichts, bis auf Katzen und Füchse, vielleicht eine Eule. Nichts. Niemand.
Sie suchte nach Handfeger und Schaufel, kehrte die Scherben auf und warf sie in den Küchenmülleimer. Aus dem Arbeitszimmer holte sie eine andere Lampe, stellte sie auf, knipste sie an und las zwanzig Minuten weiter.
»O Herr, erleuchte die Finsternis dieser Nacht mit Deinem himmlischen Strahlen. Und bewahre die Kinder des Lichts vor den Untaten der Finsternis. Durch Jesus Christus, unseren Herrn.«
Das Geräusch von draußen war ein gedämpfter Rums, als wäre jemand gestürzt.
Es gab Verschiedenes, was sie tun konnte: die Polizei anrufen; die Dows anrufen; aus dem Fenster schauen; hinausgehen … Und sie konnte nichts davon tun, war gelähmt vor Angst, ihr Mund zusammengezogen und trocken.
In ihrem Kopf lief ein Film ab, den sie nicht anhalten konnte, von Max Jameson, der sie zu Boden warf, sie an den Armen festhielt, ihr ins Gesicht starrte, das Messer hielt, lachte, triumphierend aufschrie, ihr gegenübersaß, sie mit Furcht peinigte und redete, redete, in einem leisen, eigentümlichen Flüstern, das in ihren Ohren summte.
Sie zwang sich aufzustehen, zog Pantoffeln und Morgenrock an und schob dann den Vorhang zurück. Sie hatte die Hand am Fenstergriff, wollte das Fenster öffnen, als sie in den nächtlichen Garten schaute.
Max Jamesons Gesicht grinste sie an. Sein Körper war im Schatten, selbst sein Hals schien umwickelt zu sein, so dass sein Gesicht mit dem wirren Haar und dem zerzausten Bart ein paar Meter vor ihr allein zu schweben schien. Jane hätte schreien, das Fenster auf- und zuknallen, ihn wegscheuchen sollen, aber sie tat nichts, erstarrte nur in Angst am Fenster, blickte hinaus wie er hereinblickte.
Der Anblick der Polizeitaschenlampen, die im Garten aufblitzten, die Dunkelheit nach allem Versteckten absuchten, war eine unbeschreibliche Erleichterung. Die Beamten waren kaum fünf Minuten nach ihrem Anruf eingetroffen. Der Streifenwagen war in der Gegend gewesen, und die beiden jungen Polizisten waren groß, schwerfüßig und beruhigend, während sie unter Büsche und hinter Bäume schauten, auf allen Seitenwegen und im Schuppen. Inzwischen war das Licht im Haus der Dows angegangen, und im Garten waren andere Stimmen zu hören.
Jane saß im Sessel, trank einen Becher Tee. Es war halb vier. In einer Stunde würde der Tag anbrechen. Sie wusste nicht, was sie gesehen hatte, konnte jetzt nicht mehr sagen, ob das Gesicht von Max Jameson wirklich oder eine Vorspiegelung ihrer verängstigten Phantasie gewesen war. Aber wenn sie die Augen schloss, war es da, deutlich und leibhaftig, kein Phantom, kein Geist. Max Jameson, der sie aus der Finsternis anstarrte.
Sie begann zu zittern,
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