Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
gefragt, kaum dass sie im Auto saßen. Aber Kyras Mund hatte sich fest geschlossen, wie es ihre Art war, und sie hatte nichts gesagt. Überhaupt nichts, nicht ein einziges Wort, bis nach dem Fernsehen und dem Abendessen und ihrem Bad, und dann war es um Ferien gegangen, die sie machen wollte. In einem Wohnwagen.
»Wer hat dir denn was von Wohnwagen erzählt?«
Aber Kyra hatte nicht geantwortet.
»Hast du ihnen gesagt, was bei Ed passiert ist?«
Nichts.
»Über das Kuchenbacken und so?«
Nach einer langen Weile hatte Kyra genickt.
»Haben die gesagt, es wäre in Ordnung? Kuchen zu backen und so?«
Nichts.
»Was hast du ihnen noch erzählt? Darüber, wie es nebenan war? Was haben sie dich gefragt? Was haben sie gesagt?«
Nichts.
»Himmel noch mal, Kyra, ich versuche doch nur, alles gut zu machen, ich will nicht, dass sie dich durcheinanderbringen, ich will bloß sichergehen, dass alles in Ordnung war.«
»Es war in Ordnung.«
Natalie hatte aufgegeben.
Jetzt streichelte sie Kyras dünnes, blondes Haar, fein wie Löwenzahnflaum über den Ohren. Kyras Lider senkten sich, schnappten dann wieder auf.
»Du würdest es mir doch erzählen, oder?«
»Was?«
»Alles. Alles, was passiert ist.«
Kyra runzelte die Stirn.
»Hat Ed …?«
Kyra schloss schnell die Augen.
Natalie wartete. Nichts.
Kyras Augen blieben geschlossen.
Natalie ging nach unten, stellte den Kessel auf, zündete sich eine Zigarette an und setzte sich an den Frühstückstresen. Es war warm. Auf der Straße bellte ein Hund. Sie wollte irgendwo anders sein. Vielleicht ging das ja. Sie konnte in einem Callcenter einer anderen Stadt arbeiten, zu ihrer Familie zurückkehren, es sogar in London versuchen. Wenn sie jetzt morgens aufwachte, fühlte sie sich schlecht, verbittert. Alt. Und sie war erst sechsundzwanzig. Sie hatte es nicht verdient, in einem Haus neben dem einer Kindermörderin zu landen. Niemand verdiente das.
Einen Moment dachte sie, von oben ein Geräusch gehört zu haben, aber als sie auf den Flur trat, war alles ruhig. Um Gesellschaft zu haben, stellte Natalie das Radio an und hörte eine halbe Stunde lang den Gesprächen zu, traurige Menschen, die anriefen, um mit Fremden darüber zu plaudern, dass sie traurige Menschen waren, um drei Uhr morgens.
Als Kyra die leisen Stimmen aus dem Radio hörte, ging sie zurück zu ihrem Posten am Fenster. Eds Haus wurde von der Straßenlampe beschienen. Es sah traurig aus.
Sie hatten sie gefragt, was sie von Eds Haus hielt. Als sie ihnen erzählte, dass es ihr besser gefiel als ihr eigenes und sie lieber mit Ed zusammen war als mit ihrer Mutter, hatten sie sie seltsam angeschaut. Sie fragten, warum und ob sie sich sicher sei, dass sie es so meinte, und ob Ed sie je gedrängt hätte, das zu behaupten, was Kyra wie die allerdämlichste Frage vorgekommen war. Sie hatten sie gebeten, ihnen zu erzählen, was Ed gesagt hatte und ob Ed sie jemals im Auto zum Schwimmen oder zum Einkaufen oder aufs Land mitgenommen hatte, und ob jemals Kyras Freunde mit im Haus gewesen waren, zum Kochen und Spielen, wenn Kyra da war oder wenn sie nicht da war.
Fragen. Alle über Ed. Merkwürdige Fragen, grobe Fragen, dämliche Fragen, aber als Kyra ihnen Fragen stellte, hatten sie nicht geantwortet, nicht richtig. Kyra hatte wissen wollen, wo Ed war und ob sie von den Leuten wusste, die ständig in ihrem Haus ein und aus gingen, und wann sie zurückkommen würde, und ob Kyra sie besuchen könnte, und sie hatten keine einzige dieser Fragen beantwortet. Nicht eine.
Achtundzwanzig
W arum haben Sie geweint, Edwina?«
»Ed. Wie oft muss ich das noch sagen?«
»Ed. Haben Sie eine Ahnung, woran das lag?«
Sag nichts. Genau wie bei der Polizei. Sag nichts.
»Sie kommen mir einfach nicht wie jemand vor, der leicht weint.«
Nichts.
»Erinnern Sie sich daran, als Kind viel geweint zu haben?«
Es ging also los. Sie wusste, was kommen würde. Kommen musste. Die Kindheit. Das war alles, worüber sie einen ausfragten, worauf sie alles schoben, worin sie wühlen würden. Na gut, in Ordnung. Gibt nichts zu erzählen. Und selbst wenn, sag nichts.
Der Raum war klein. Mit dunkelrotem Tweed bezogener Sessel. Recht bequem. Die Psychotante saß auch auf einem, Klemmbrett auf dem Schoß. Ed hätte erwartet, dass ein Arzt hinter einem Schreibtisch saß. Wäre ihr irgendwie richtiger erschienen. Und außerdem war es eine Frau. Ärzte waren Männer. Sollten Männer sein. Genau wie Krankenschwestern Frauen waren. Nur jetzt nicht
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