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Der Seele weißes Blut

Der Seele weißes Blut

Titel: Der Seele weißes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
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tiefer, lallender Stimme auf den Wirt einredete, der sie nicht beachtete. Im Fernseher lief ein Fußballspiel, die meisten Gäste glotzten ausdruckslos auf den Bildschirm. Hin und wieder war ein kollektives Fluchen zu hören. An der Theke saß ein Mann, der dem Anschein nach ein paar Jahre jünger als Lydia war. Wenn man nicht so genau hinsah, hatte er entfernt Ähnlichkeit mit Colin Farrell. Lydia mochte den irischen Schauspieler zwar nicht sonderlich, doch sie fand, dass er unverschämt gut aussah. Sein Doppelgänger hatte das dunkle Haar zurückgegelt, er trug ein weit aufgeknöpftes Hemd und ein Goldkettchen um den Hals, an dessen Ende ein Kreuz hing. Auf dem rechten Oberarm prangte unter dem hochgekrempelten Ärmel eine Tätowierung in Form einer Schlange, die sich um einen Speer wand.
    »Hübsches Haustier«, bemerkte Lydia, als sie auf den Hocker neben ihm glitt. Er antwortete nicht, doch seine Augen wanderten abschätzend über ihren Körper. Sie zog den Pulli aus und ließ ihn einen Blick auf ihr hautenges T-Shirt werfen.
    »Gibst du mir ein Bier aus?«, fragte sie.
    Als der Kerl dem Wirt winkte, wusste sie, dass sie ihn am Haken hatte.
    Ellen Dankert schloss die Spülmaschine, richtete sich auf und horchte. Alles war still. Die Kinder schliefen. Philipp saß im Wohnzimmer und las die Zeitung. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Gleich halb elf. Rasch band sie die Schürze ab und hängte sie an den Haken. Vor dem Spiegel in der Diele kontrollierte sie ihre Frisur und den Sitz ihrer Bluse. Am liebsten wäre sie hinauf ins Bett gegangen. Mit der schmerzenden Seite würde sie zwar kaum schlafen können, aber wenigstens ausruhen. Doch Philipp erwartete sie im Wohnzimmer. Sie wollte ihn nicht verärgern. Nicht ausgerechnet heute.
    Als sie eintrat, faltete er die Zeitung zusammen und deutete auf den Sessel ihm gegenüber. »Setz dich. Ich schenke dir auch einen Wein ein.«
    »Nein, ich möchte nichts mehr trinken«, erwiderte sie. »Sonst habe ich morgen Kopfschmerzen. Ich hatte doch zum Essen schon ein Glas.«
    »Stell dich nicht so an«, gab er zurück. »Ein zweites Glas wird dich nicht gleich umbringen.« Er stand auf, holte ein Weinglas aus der Vitrine und goss es voll.
    Sie widersprach nicht. Als er ihr das Glas reichte, nippte sie gehorsam, dann stellte sie es ab.
    »So ist es gut«, sagte er und ließ sich wieder in den Sessel fallen. Er betrachtete sie. »Was hast du heute gemacht?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Nichts Besonderes. Haushalt. Kinder. Das Übliche halt.« Sie hasste es, wenn er sie ausfragte. Meistens hatte er dabei einen Hintergedanken, doch sie ahnte nie, worauf er hinauswollte. Sie dachte an das, was sie im Keller entdeckt hatte, und ihre Finger verkrampften sich. Das konnte er nicht wissen. Unmöglich.
    »Du bist so still heute. Was ist los? Du warst doch nicht heimlich joggen, oder?«
    »Nein. Nein, natürlich nicht«, stammelte sie.
    »Dann ist ja gut.« Er nahm einen Schluck Wein.
    »Lukas hat heute im Kindergarten etwas sehr Schönes gebastelt. Aus Kastanien. Möchtest du es sehen?«
    Philipp winkte ab. »Das kann warten.« Er sah sie an. »Du trinkst ja gar nicht.«
    »Mach ich gleich.«
    »Sofort.« Er stand auf.
    Hastig griff sie nach dem Glas und trank. Sie hielt den Kopf gesenkt, sah auf ihren verbundenen Finger. Sie hatte es nicht gewagt, Philipp zu sagen, dass die Wunde pochte.
    Philipp trat hinter sie. »Du hast gedacht, ich merke es nicht, stimmt’s?«
    Sie zuckte zusammen. Er packte sie im Nacken, und sie versteifte sich.
    »Wovon redest du?«, flüsterte sie.
    »Das weißt du ganz genau.« Die Finger drückten fester zu. Sie schrie leise auf vor Schmerz und ließ das Weinglas fallen. Es zersplitterte auf dem Parkett, Rotwein ergoss sich über ihren Fuß.
    »Du Trampel!«, stieß er hervor. »Musst du ständig alles fallen lassen? Putz das auf!« Er trat zurück, um sie aufstehen zu lassen.
    Sie holte Handfeger, Schaufel und ein paar Papiertücher aus der Küche. Ihre Finger zitterten, als sie die Scherben einsammelte. Nachdem sie alles weggebracht und sich wieder auf den Sessel gesetzt hatte, sprach Philipp weiter. Er stand immer noch an der gleichen Stelle, dicht hinter ihr, sie spürte seinen Atem auf ihrer Haut.
    »Wir hatten gerade über dein kleines Geheimnis gesprochen«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Willst du mir nicht davon erzählen?«
    Ihr Herz hämmerte wild. Er konnte es nicht wissen. Er musste etwas anderes meinen. Aber was? »Ich weiß wirklich nicht,

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