Der Seele weißes Blut
ist der Tisch noch nicht gedeckt?« Er marschiert zurück zur Tür und brüllt in den Flur: »Kerstin! Tisch decken. Marsch.«
Er kehrt zurück, tritt hinter Mama, hebt ihren Rock hoch und klatscht mit der Hand auf ihren Po.
»Lass das«, ruft sie. »Ich muss kochen.«
Aber Papa hört nicht auf. Er steckt seine Hand in ihre Unterhose und kneift sie.
»Wolf, bitte. Der Junge«, sagt Mama. Ihre Stimme klingt komisch. So als säße etwas in ihrem Hals fest.
Papa dreht sich zu ihm um. »Der kann ruhig sehen, wie das geht«, sagt er und zwinkert ihm zu. »Er will doch mal ein richtiger Mann werden. Hab ich recht?«
Er möchte aus der Küche verschwinden, aber er traut sich nicht. Er hofft, dass Kerstin endlich kommt und den Tisch deckt. Aber sie hat die Musik zu laut gestellt, sie hat Papa nicht gehört. Papa hat Mama die Hose her-untergezogen. Ihr Po ist groß und weiß. Sie zerrt sie mit einer Hand wieder hoch. In der anderen hält sie den Kochlöffel und rührt in der Soße.
»Nun, komm schon, zick nicht rum«, sagt Papa und packt Mama im Nacken, so wie Kerstin es mit ihm macht, wenn sie ihn wäscht.
»Aber das Essen«, wendet Mama ein und versucht, sich loszumachen. »Es ist doch gleich fertig.«
»Scheiß auf das Essen!«, brüllt Papa. Plötzlich ist er wütend. Er greift Mama an den Haaren und zerrt sie zur Tür. Ganz krumm muss sie gehen. Sie macht ein seltsames Geräusch und fängt an zu weinen. Papa klatscht ihr mit der freien Hand ins Gesicht. »Hör auf zu heulen, du blöde Kuh!« Papa schubst Mama ins Wohnzimmer. Von oben dröhnt die Musik.
Er hält sich die Ohren zu und starrt auf den Topf mit der Tomatensoße. Hin und wieder schießt ein roter Spritzer im hohen Bogen heraus und landet auf dem Herd. Oder auf den Kacheln an der Wand. Die Spritzer kommen immer häufiger. Höher und höher sausen sie aus dem Topf wie aus einem Vulkan. Er stellt sich vor, der Herd ist ein fernes Land. Überall sind winzige Menschen, die vor dem Vulkanausbruch fliehen. Sie hasten über die heißen Platten auf die Spüle zu. Sie stolpern übereinander, fallen, verlieren wertvolle Zeit. Ein dicker Klatscher landet auf der weißen Fläche. Dutzende von den Herdmenschen sind augenblicklich tot. Die anderen flüchten weiter, rennen verzweifelt um ihr Leben.
Plötzlich patscht es in sein Gesicht. Seine Wange brennt wie Feuer. Wurde er auch von der Lava getroffen? Jemand reißt die Hände von seinen Ohren.
»Du Idiot! Warum hast du den Herd nicht abgestellt? Bist du wirklich so blöd?« Mama schüttelt ihn. Knallt ihm noch eine. Tränen schießen ihm in die Augen. Mama stürzt zum Herd und fummelt an den Knöpfen herum. Sie greift nach dem Soßentopf und stellt ihn auf die Spüle. Von der Seite sieht er, dass sie immer noch weint. Sie hat einen roten Streifen im Gesicht, so als wäre sie ein Indianer und hätte Kriegsbemalung angelegt. Aber es ist keine Farbe. Ihre Bluse ist schief geknöpft, ihre Finger zittern. Sie holt eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank, öffnet sie und reicht sie ihm. »Hier. Bring die Papa ins Wohnzimmer.«
Er greift nach der Flasche und trägt sie vorsichtig wie einen Schatz.
11
Lydia reckte sich. Ihr Nacken war verspannt, in ihrem Kopf pochte es drohend. Es war Viertel nach neun. Salomon hatte sich vor zehn Minuten verzogen, um ein paar Stunden zu schlafen, die anderen waren gegen acht gegangen. Morgen früh um sieben mussten sie alle wieder im Präsidium sein. Seit sie und Salomon am Mittag aus der Rechtsmedizin zurückgekommen waren, hatten sie keine ruhige Minute mehr gehabt. Endlich konnten sie mit den Ermittlungen irgendwo ansetzen. Maren Lahnstein hatte zwar noch einen Gentest angeordnet, doch der Gebissvergleich hatte kaum Raum für Zweifel gelassen. Bei der Toten handelte es sich um Kristina Keller. Keine Muslimin. Das machte einen islamistischen Hintergrund unwahrscheinlich. Gegen vier war Weynrath bei Lydia aufgetaucht und hatte ihr großmütig drei weitere Mitarbeiter für die »Moko Steine« zugesichert. In Weynraths Sprache war das fast eine Entschuldigung. Sie hatte die Neuen direkt losgeschickt, Kristina Kellers Nachbarn und Arbeitskollegen zu befragen, doch viel hatten sie nicht herausbekommen. Die anderen Mieter im Dernbuschweg kannten ihre Nachbarin nur vom Sehen, und die Angestellten des Baumarktes behaupteten, Kristina Keller sei ziemlich verschlossen gewesen und habe nie viel über Privates gesprochen. Immerhin wusste eine ältere Kollegin, dass sie früher einmal
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