Der Seele weißes Blut
angerufen.«
14
Philipp Dankert betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Wenn er die Haare ein wenig in die Stirn fallen ließ, fiel das Pflaster kaum auf. Dieses Miststück hatte ihm die Weinflasche über den Schädel gezogen. Einfach so. Wieder drohte die Wut, seine Eingeweide zu sprengen. Er krallte die Finger um das Waschbecken. Die kühle, glatte Struktur hatte etwas Beruhigendes. Er würde das in den Griff kriegen. Er musste nur einen klaren Kopf bewahren.
Vor einer halben Stunde hatte er im Krankenhaus angerufen und sich krankgemeldet. Er sei die Treppe hinuntergestürzt, hatte er der Sekretärin erzählt, Verdacht auf eine leichte Gehirnerschütterung. Jetzt musste er nur noch die Kinder unterbringen, und dann würde er sich um Ellen kümmern. Und zwar so, dass sie nie wieder wagen würde, sich ihm zu widersetzen. Wenn er nur wüsste, wo sie sich versteckt hielt! Dieses verdammte Biest! Über drei Stunden war er gestern durch die Gegend geirrt und hatte sie gesucht. Zuerst war er zu Fuß losgelaufen, doch schon bald war ihm das zu blöd gewesen. Er war zurückgekehrt und hatte den Wagen geholt. Jeden einzelnen Waldweg war er abgefahren, war durch sämtliche Straßen in Erkrath, Unterbach und Gerresheim gekurvt. Nirgends eine Spur von ihr. Als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Heute Morgen hatte er als Erstes ihre beiden Freundinnen angerufen, zwei junge Mütter, die Ellen aus dem Kindergarten kannte, und etwas von einem kleinen Streit erzählt. Ihre Ahnungslosigkeit hatte echt geklungen. Wo könnte Ellen sonst hingegangen sein? Irgendwo musste sie doch stecken! Sie kannte fast niemanden hier in der Gegend, sie stammte aus Friesland und hatte in den fünf Jahren, die sie hier lebte, kaum Kontakte geknüpft. Zumindest keine, von denen er wusste. Philipp schnitt seinem Ebenbild eine Grimasse. Es war das erste Mal gewesen, dass Ellen sich ernsthaft zur Wehr gesetzt hatte. Was war bloß in sie gefahren? Hatte sie vor, ihn vor allen Leuten bloßzustellen? Er ballte die Fäuste. Das würde er sich nicht bieten lassen. Er würde sie finden, und die Sache klarstellen. Ein für alle Mal.
Maja und Lukas saßen auf dem Boden im Kinderzimmer. Maja bemalte das Gesicht ihrer Puppe mit Filzstiften, Lukas baute eine Burg aus Bauklötzen.
»Wann kommt Mama wieder?«, fragte Maja, als Philipp im Türrahmen stehen blieb.
»Bald«, antwortete er. Eigentlich hätte er ihr die Stifte wegnehmen müssen. Doch er hatte keine Lust auf ihr Protestgeschrei. Er war froh, dass die beiden ausnahmsweise mal nicht stritten. Außerdem war ihm etwas eingefallen. Er hatte noch eine Sache im Keller zu erledigen. Sicherheitshalber hatte er Ellen als vermisst gemeldet. Falls er sie nicht fand, falls ihr etwas zugestoßen sein sollte, machte er sich verdächtig, wenn er nicht Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um sie zu finden, wenn er sich nicht so verhielt, wie man es von einem besorgten Ehemann erwartete. Er hatte bei der Polizei angerufen und war kaum überrascht gewesen, dass man ihn vertröstet hatte, vor allem, nachdem er zugegeben hatte, dass es am Abend zuvor zu einer kleinen Auseinandersetzung gekommen war.
»Könnte es nicht sein, dass Ihre Frau die Nacht bei einer Freundin verbracht hat?«, hatte der Beamte gefragt.
Er hatte sich dumm gestellt. »Meinen Sie?«
»Das kommt sehr häufig vor. Hat sie das in der Vergangenheit noch nie getan?«
»Nein. Aber wir streiten uns normalerweise auch nicht. Wir führen eine gute Ehe.«
»Sie kommt bestimmt bald wieder. Wir könnten gegenwärtig sowieso nicht viel unternehmen. Es sei denn, Ihre Frau wäre in Gefahr. Aber dafür gibt es keine Anzeichen, oder? Sie ist doch nicht suizidgefährdet? Oder krank?«
»Nein! Natürlich nicht.«
»Fragen Sie mal bei den Freundinnen nach. Und wenn Sie bis heute Abend nichts von ihr gehört haben, können Sie sich ja noch mal melden.«
Beim Auflegen hatte er sich das Grinsen nicht verkneifen können.
Er ließ Maja und Lukas noch ein wenig spielen und ging ins Schlafzimmer. Dort holte er seine Sporttasche aus dem Schrank und stieg die Treppe hinunter bis in den Keller. Vermutlich war er übervorsichtig, aber sicher war sicher. Wer wusste, ob die Polizei nicht auf die Idee kam, das Haus zu durchsuchen, wenn Ellen nicht bald wieder auftauchte. Er öffnete die Schublade der Werkbank und stopfte den Inhalt in die Tasche, tief unter die Sportsachen.
Eine halbe Stunde später hatte Philipp Maja und Lukas ins Auto verfrachtet und war auf dem Weg zu
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