Der Seele weißes Blut
den Verdacht, den Mörike geäußert hatte. Dann wandte sie sich an eine der drei Neuen, Ruth Wiechert, eine unscheinbare Frau mit schulterlangen dunklen Haaren, die sie von früheren Fällen her als zuverlässig, wenn auch ein wenig verbissen in Erinnerung hatte. »Wiechert und Mörike, ihr fahrt noch mal zu dem Baumarktleiter, okay? Fühlt ihm ein wenig auf den Zahn. Und fragt ihn, ob er weiß, warum Kristina Keller aufgehört hat, im Schauspielhaus zu arbeiten.«
»Meinst du, das hat was mit dem Mord zu tun?«, fragte Wiechert. »Das ist doch schon über zwei Jahre her, wenn ich das richtig gelesen habe.« Sie klang weinerlich, so als hätte man sie zum Geigeüben auf ihr Zimmer geschickt, während die anderen draußen spielen durften.
Lydia hätte sie am liebsten geohrfeigt, doch sie bemühte sich um einen ruhigen Tonfall. »Ich meine gar nichts. Ich will einfach nur so viel wie möglich über die Frau wissen. Das ist Routine bei einer Mordermittlung.«
»Geht klar.« Wiechert senkte beschämt den Kopf.
»Vielleicht hat unser Killer ja was gegen Frauen in Männerberufen«, verkündete Thomas Hackmann, ebenfalls einer der drei Neuen, und grinste breit, sodass die Lücke zwischen seinen Schneidezähnen zu sehen war. »Dann wird es echt eng für dich, Louis.«
»Wie meinst du das?«, fragte Lydia scharf. Sie konnte Hackmann nicht ausstehen. Reinhold Meier hatte zwar auch eine große Klappe, aber er war im Grunde ein anständiger Kerl. Etwas, das sie von Hackmann nicht behaupten konnte.
»Na ja, die Alte war Tischlerin, oder?«
»Und?«
»Eben das meine ich. Ist was anderes als Kindergärtnerin oder Putze. Eher so wie Kriminalhauptkommissarin. Du solltest auf der Hut sein, Louis. Vermutlich passt du genau in sein Beuteschema.«
Lydia legte die Handflächen auf den Tisch und beugte sich vor. »Hast du irgendwelche Hinweise darauf gefunden, dass der Killer etwas gegen Frauen in so genannten Männerberufen hat? Ich meine, außer der Tatsache, dass das Opfer gelernte Tischlerin war?«
Hackmann zuckte mit den Schultern, das Grinsen schien an seinen Lippen festgewachsen.
»Hast du ein Problem damit, dass ich diese Moko leite?«, fragte Lydia weiter. Die Wut brodelte ihre Speiseröhre hinauf, entschlossen schluckte sie sie hinunter.
Hackmanns Zahnlücke blitzte erneut auf. »Ganz im Gegenteil, Louis. Ich liebe es, unter einer Frau zu arbeiten.« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Vor allem, wenn es sich um so eine Sahneschnitte wie dich handelt.«
Salomon zog hörbar Luft ein, Ingo Wirtz, der auch neu in der Moko war, senkte den Kopf und widmete sich seinen Unterlagen. Köster machte den Mund auf, doch Lydia warf ihm einen warnenden Blick zu. Das musste sie allein klären.
»Ich leite diese Ermittlungen«, stellte sie fest. »Und ich erwarte, dass jeder hier im Team das bedingungslos anerkennt. Wenn du damit nicht einverstanden bist, dann verschwinde und lass dir von Weynrath eine andere Aufgabe zuteilen. Und zwar sofort.«
Sie wartete, knisterndes Schweigen breitete sich aus.
Hackmanns Grinsen verkrampfte sich. »Nur nicht aufregen, Louis«, stieß er hervor. »Ich wusste ja nicht, dass du keine Komplimente vertragen kannst.«
Sie sah ihn an. »Da du immer noch hier bist, gehe ich davon aus, dass du die Spielregeln akzeptierst. Dann können wir ja jetzt weitermachen.« Sie warf einen Blick auf ihre Aufzeichnungen. Die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen, sie konnte kein Wort lesen. Verdammt, dieser Idiot hatte sie vollkommen aus dem Gleichgewicht gebracht. Rasch sah sie wieder auf. »Meier und Schmiedel, ihr versucht, Kristina Kellers letzten Tag zu rekonstruieren, und zwar so genau wie möglich. Das war der vergangene Montag. Überprüft alles: Wann ist sie aufgestanden? Was hat sie auf der Arbeit gemacht? War sie einkaufen? Wo? Hat sie telefoniert? Mit wem? Und so weiter. Das volle Programm.«
Die beiden nickten. Lydia nahm sich noch einmal ihre Notizen vor. Die Buchstaben waren jetzt deutlich zu erkennen. Sie hatte sich wieder im Griff. Ohne weitere Zwischenfälle verteilte sie die übrigen Aufgaben. Gerade als sie die Besprechung beenden wollte, klopfte es. Ein Kollege in Uniform steckte den Kopf zur Tür herein.
»Frau Louis?«
»Was gibt es?«
»Da ist gerade eine Vermisstenmeldung reingekommen. Jemand von der Tatortbereitschaft meinte, das könnte Sie interessieren.«
»Wer wird vermisst?«
»Eine junge Mutter. Ihr Name ist Ellen Dankert. Ihr Mann hat eben
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