Der Seele weißes Blut
solche Taten eine sexuelle Komponente, auch wenn keine sexuellen Handlungen vollzogen wurden. Es geht um Macht. Sex und Macht.«
»Könnte schon sein«, sagte Chris zögernd und trank von seinem Kaffee.
Lydia wirkte plötzlich aufgebracht, so als nähme sie die Sache persönlich. »Sex und Macht«, wiederholte sie wie ein Mantra. »Immerhin ist Steinigen eine Strafe für Ehebruch.«
»Stimmt. Aber Kristina Keller war nicht verheiratet. Es gab überhaupt keinen Mann in ihrem Leben.«
»Keinen, von dem wir etwas wissen«, korrigierte Lydia.
»Du meinst, der Mörder wusste vielleicht etwas über sie, was wir nicht herausgefunden haben?«
»Wäre doch möglich. Du hast selbst gesagt, dass er perfekt vorbereitet war. Und das stimmt. Wenn man einmal davon absieht, dass er sich beim zweiten Mord beeilen musste, war alles makellos inszeniert. Wir müssten diese Taten lesen können wie ein Buch. Sie sagen viel über den Täter, erzählen uns das, was er uns wissen lassen möchte, aber auch das, was er uns eigentlich nicht mitteilen will.«
Chris nickte. »Er ist auf jeden Fall ein Kontrollfreak. Er überlässt nichts dem Zufall.«
»Und er hat eine besondere Beziehung zur Religion. Er hat eine rituelle Form des Tötens ausgewählt.«
»Ein religiöser Fanatiker?«
Lydia verzog skeptisch das Gesicht. »Der sich graue Mäuse wie Kristina Keller und Ellen Dankert aussucht? Das passt nicht. Würde so einer nicht Frauen auswählen, die offenkundig gegen die gängige Moral verstoßen? Ehebrecherinnen? Prostituierte?«
»Keine Ahnung. Vielleicht sollten wir die Experten vom LKA hinzuziehen, was meinst du? Die könnten ein Täterprofil erstellen.«
»Quatsch«, stieß Lydia hervor. »Das können wir auch. Was nützt es uns, wenn wir wissen, dass der Täter ein Problem mit Frauen hat und vielleicht in seiner Kindheit geschlagen wurde, solange wir keinen Verdächtigen haben?«
Chris sah sie schweigend an. Er hatte damit gerechnet, dass sie nicht viel davon halten würde, Hilfe von außen hinzuzuziehen. Aber eine so heftige Reaktion hatte er nicht erwartet. »Ganz wie du meinst, Louis. Ich dachte nur, es könnte hilfreich sein.«
»Wenn wir mit unseren Methoden am Ende sind, kannst du mich noch einmal darauf ansprechen.« Sie schwieg nachdenklich, dann hob sie den Blick. »Heute ist übrigens Montag, die drei Tage sind vorbei.«
Chris seufzte. Diese Frau verlor keine Zeit, sie schoss lieber gleich zurück, anstatt ihre Energie unnütz mit Verhandlungen zu verschwenden.
»Du hast recht«, sagte er. »Ich werde mit dem Kollegen aus Köln sprechen, der mir die Akte gegeben hat, ihn bitten, das Opfer und den Zeugen ausfindig zu machen und beide noch einmal zu befragen.«
»Das wird nicht reichen. Der Rest der Moko muss informiert werden, alle müssen über die alte Geschichte Bescheid wissen. Und einer von uns sollte bei den Befragungen dabei sein. Die Kölner wissen doch gar nicht, worauf sie achten müssen.«
Er nickte. »Dann machen wir das nachher bei der Besprechung. Ich werde so tun, als wäre es mir vorhin erst eingefallen.«
»Keine Erklärung?«
»Die ist privat.«
Lydia starrte ihn fassungslos an. »Das ist alles? Ich halte meinen Kopf für dich hin und erfahre nicht einmal, was das Ganze sollte? Du glaubst wohl, weil du mir deine traurige Lebensgeschichte erzählt hast, würde ich dir alles durchgehen lassen? Aber da täuschst du dich.«
Chris versuchte, ruhig zu bleiben. »Das Gegenteil ist der Fall. Ich habe dir von mir erzählt, um dir zu zeigen, dass ich dir vertraue. Es ist lebenswichtig, dass Partner sich gegenseitig vertrauen. Aber ich bin nicht scharf darauf, dass das jeder hier im Haus erfährt. Ich möchte nicht der arme Kerl sein, mit dem alle Mitleid haben. Ich möchte als Ermittler ernst genommen werden, und ich habe mir eingebildet, du hättest das verstanden.«
»Ich wollte dich nicht als Partner haben, Salomon. Das weißt du doch wohl?« Ihre blauen Augen blitzten wie gefrorene Bergseen.
»Ja, das weiß ich.« Er hielt es für überflüssig, ihr zu sagen, dass auch seine Entscheidung anders ausgefallen wäre, wenn man ihm die Wahl gelassen hätte.
Sie hatte sich wie eine Verräterin gefühlt, als sie dem Fremden Karls Wagenschlüssel gegeben hatte. Der Benz war immer sein Ein und Alles gewesen. Er hatte ihn regelmäßig warten lassen, einmal in der Woche gewaschen und in all den Jahren niemand anderen ans Steuer gelassen. Hannelore hatte das zwar nicht verstanden, aber es hatte sie auch
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