Der Seele weißes Blut
sie endlich in der Wohnung war, atmete sie erleichtert auf, schloss die Augen und lehnte sich gegen die Tür. Sie durfte sich nicht verrückt machen. Es gab eine Lösung. Dieser Brandau war unschuldig, also musste es dafür irgendwelche Beweise geben. Und die musste sie finden. Oder den wahren Täter. Das wäre das Beste. Dann kam sie vielleicht doch noch mit einem blauen Auge davon.
Und danach musste sie daran arbeiten, sich besser in den Griff zu kriegen. So etwas durfte nie wieder passieren. Sie musste ihre Dämonen besiegen. Wenn nur dieser Idiot Salomon ihr keinen Strich durch die Rechnung machte. Er war der Einzige, der ihr gegenwärtig gefährlich werden konnte. Wenn er seinen Verdacht den anderen gegenüber äußerte, wenn er eine Gegenüberstellung verlangte, dann war alles vorbei. Sie stöhnte. Wieder überrollte sie eine Welle von Übelkeit. Sie musste Salomon loswerden. Aber alles der Reihe nach.
Sie zog ihren Parka aus und ging ins Wohnzimmer. Ein großer Whisky, Musik und Ruhe zum Nachdenken, das war es, was sie jetzt brauchte.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis ihr auffiel, dass etwas nicht in Ordnung war. Es war das Licht. Fast wie in ihrem Albtraum. Und dann sah sie es. Ihr Computer war eingeschaltet. Ein Bild war auf dem Monitor zu sehen. Schwarze Linien auf weißem Untergrund: ein stilisierter Fisch.
»Ich kriege dich, du Schwein«, flüsterte sie. »Ich kriege dich, und dann gnade dir Gott.«
36
Freitag, 18. September
Das Telefon klingelte, als Lydia unter der Dusche stand. Sie hatte kaum geschlafen. Dafür hatte sie viel Zeit gehabt nachzudenken.
Genervt tappte sie aus der Dusche, lief in die Diele und nahm ab. Was der Kollege am anderen Ende der Leitung ihr zu sagen hatte, jagte ihr einen Schauder über den Rücken. Es war, als wären ihre Gebete erhört worden. Doch offenbar hatte eine andere Frau den Preis für ihre Rettung zahlen müssen.
Innerhalb von sieben Minuten war sie angezogen. Zum Südpark war es nicht weit. Streifenpolizisten hatten am Eingang Hennekamp die Absperrungspoller entfernt, sodass sie mit dem Auto auf das Parkgelände fahren konnte. Es war noch dämmrig, schon von weitem sah sie das zuckende Blaulicht zwischen den Bäumen. Weynrath erwartete sie, die Hände in die Hüften gestemmt.
»Ein ›Guten Morgen‹ ist wohl nicht ganz angebracht, Louis«, empfing er sie. »Ich dachte, Sie hätten gestern Abend einen Verdächtigen verhaftet?«
»Offenbar hat er für diese Tat ein wasserdichtes Alibi«, antwortete sie, und es gelang ihr nur mit Mühe, ihre Erleichterung nicht offen zu zeigen.
Weynrath schnitt eine Grimasse. »Sie müssen diesen Kerl schnappen. Die Pressemeute macht uns die Hölle heiß, von dem dahinten ganz zu schweigen.« Er deutete hinter sich, wo Staatsanwalt Dr. Richter stand und mit Spunte sprach.
Lydia nickte. »Okay, dann mach ich mich mal an die Arbeit.«
»Und zwar hoffentlich mit besseren Resultaten als bisher. Dieser Kerl mordet vor unserer Nase, und wir stehen da wie die letzten Idioten.«
Normalerweise hätte Lydia sich über seine dumme Bemerkung geärgert, aber heute perlte sie wirkungslos an ihr ab. Sie ließ ihn stehen und marschierte auf den Fundort zu. Während sie über die Wiese lief, setzte Nieselregen ein. Rasch zog sie die Kapuze ihres Parkas über den Kopf.
Spunte kam ihr entgegen. Sie nickten sich zu.
»Schon eine Botschaft gefunden?«, fragte Lydia.
»Noch nicht, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Ich bin mir sicher, dass wir etwas entdecken, wenn es erst einmal richtig hell ist.« Er blickte zum Himmel. »Das Wetter ist allerdings heute nicht auf unserer Seite. Wenn uns der Regen den Tatort unter Wasser setzt, haben wir schlechte Karten.«
»Ist das Opfer schon identifiziert?«
»Soviel ich weiß, nicht.«
»Wer hat sie gefunden?«
»Ein paar Gärtner, die hier irgendwas umpflanzen wollten. Der Teil des Parks ist bereits seit ein paar Tagen abgesperrt, weil die Bepflanzung umgestaltet und ein neuer Weg angelegt wird.«
Lydia sah sich um. »Das heißt, dieses Absperrband ist nicht von uns?«
»Genau. Wir haben den Tatort noch gar nicht abgesperrt. Dahinten fangen zwei Kollegen gerade an«. Er deutete nach links. »Das gelbe Flatterband stammt von den Gärtnern und umschließt ein Gelände von etwa fünfhundert Quadratmetern, teilweise dicht mit Gebüsch bewachsen. Der Täter konnte also damit rechnen, mehr oder weniger unbeobachtet zu bleiben. Verdammt clever.«
»Sonst irgendwas?«
»Die Tote wird gerade
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