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Der Seele weißes Blut

Der Seele weißes Blut

Titel: Der Seele weißes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
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längst gefragt, woher ihre plötzliche Vorliebe für grünen Tee und Kerzenlicht kam. Und dann hätte sie ihm von Rafi erzählen müssen. Aber danach stand ihr nicht der Sinn. Sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, irgendwem von Rafi zu erzählen, oder davon, was gerade mit ihr passierte. Unwillkürlich musste sie lächeln.
    Einen Augenblick noch ließ sie ihre Gedanken schweifen, träumte von Rafis zarten Fingern auf ihrer Haut, von der samtigen Stimme, dem blumigen Duft von Rafis Körper, dann ermahnte sie sich zur Ordnung. Sie hatte schließlich etwas zu erledigen. Gestern hatte sie mit ihrem alten Freund Kalle telefoniert, der sie ein wenig über die Sammlerszene ins Bild gesetzt hatte. Sie hatte staunend gelauscht und drei Dinge behalten. Erstens: Es gab nichts, das nicht irgendwer sammelte. Zweitens: Zu fast allen Sammelleidenschaften fand man die entsprechenden Foren und Websites im Internet. Drittens: Das Matchbox-Auto, das der kleine Jakob bei den Gebeinen gefunden hatte, war vermutlich ein Unikat. Bei genauerem Hinsehen hatte sie einen Produktionsfehler entdeckt. Die hintere linke Achse des Rennwagens war nicht genau in der Mitte der Felge festgenietet, sondern seitlich versetzt. Das Loch, in das die Achse gehört hätte, war deutlich zu sehen. Sie hatte angenommen, dass es eine Menge Wagen mit solchen Fehlern gab, doch Kalle hatte sie eines Besseren belehrt. Normalerweise wurden Fehlproduktionen aussortiert, nur wenige passierten unbemerkt die Qualitätskontrolle. Es handelte sich also um ein ganz besonderes Exemplar, eins, an das sich vielleicht sogar jemand erinnerte.
    Leider hatte Kalle nicht viel mehr dazu sagen können, da er selbst Siku und nicht Matchbox sammelte. Doch immerhin hatte er gewusst, wo sie im Internet Hilfe bekommen konnte.
    Sie tippte etwas in die Tastatur und war schon bald auf der richtigen Seite. Nachdem sie eine Weile fasziniert verfolgt hatte, worüber die Sammler sich austauschten, loggte sie sich als Gast ein und platzierte ihr Anfrage. Sie rechnete nicht mit einer schnellen Antwort, also beschloss sie, für heute Schluss zu machen. Als sie ihre Jacke anzog, dachte sie wieder an Rafi, und vor Sehnsucht machte ihr Herz einen Satz. Heute würden sie sich nicht sehen. Aber sie hatten vereinbart zu telefonieren, wenn es nicht zu spät wurde. Sie blies die Kerze aus und verließ das Büro.
    Im Korridor begegnete ihr Thomas Hackmann. Normalerweise huschte sie schnell an ihm vorbei, denn sie fürchtete seine spitzzüngigen Kommentare. Sie waren entweder anzüglich oder beleidigend. Doch heute reckte sie ihm herausfordernd das Kinn entgegen. Sollte er doch einen seiner dummen Sprüche reißen. Was wusste er denn schon von ihr?
    Lydia zog den Zündschlüssel ab und legte ihren Kopf auf das Lenkrad. Sie fühlte sich, als habe sie jemand verprügelt und in ein tiefes schwarzes Loch geworfen. Sie wusste, dass sie früher oder später mit der Wahrheit herausrücken musste. Sie konnte ihre Kollegen nicht in dem Glauben lassen, der Mörder säße sicher hinter Gittern, während er in Wirklichkeit noch irgendwo draußen herumlief – und vermutlich bereits sein nächstes Opfer ins Visier genommen hatte. Nur ein Wunder konnte sie jetzt noch retten. Aber sie glaubte nicht an Wunder.
    Sie konnte sich ohnehin nicht dauerhaft davor drücken, den Tatverdächtigen in Augenschein zu nehmen. Eigentlich müsste sie sich sofort wegen Befangenheit aus dem Fall zurückziehen. Weil sie Sex mit einem Tatverdächtigen gehabt hatte. Einem Mann, der bereits eine Frau vergewaltigt hatte. Mit einem Mal wurde ihr übel. Sie ekelte sich vor sich selbst. Sie hatte es mit einem Kerl getrieben, der eine andere Frau brutal misshandelt und vergewaltigt hatte. Wie tief war sie nur gesunken?
    Sie stieß die Wagentür auf und taumelte nach draußen. Nach ein paar Schritten musste sie sich übergeben. Ein dunkelhäutiger junger Mann blieb stehen und fragte in gebrochenem Deutsch, ob sie Hilfe brauche.
    Sie schüttelte den Kopf. »Das Falsche gegessen«, murmelte sie.
    Er blieb noch einen Moment stehen, dann wandte er sich ab. Sie würgte erneut, doch ihr Magen gab nur noch Säure her. Kraftlos fingerte sie ein Taschentuch aus der Parkatasche und wischte sich den Mund ab. Sie stolperte bis zu ihrer Haustür und schloss auf. Das Treppenhaus erschien ihr endlos. Sie brauchte fast zehn Minuten, bis sie an ihrer Wohnungstür im dritten Stock angelangt war. Mit zitternden Fingern steckte sie den Schlüssel ins Schloss. Als

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