Der Seele weißes Blut
musste er seine Frau mit dieser Lahnstein betrügen? Was für eine blödsinnige Störung des Hormonhaushalts trieb ältere Männer bloß in die Arme jüngerer Frauen? Oder besser gesagt, in ihre Betten?
Sie ließ sich auf den Stuhl fallen, zog die Tastatur zu sich heran und gab »Christliche Zahlenmystik« ein. Unter der Zahl sieben fand sie den mit Abstand längsten Eintrag: »Am siebten Tage vollendete Gott das Werk, das er geschaffen hatte, und er ruhte am siebten Tag und erklärte ihn für heilig«, las sie. »Genesis 2,2.« Weiter unten fand sie mehr. »Die sieben Sakramente. Und die sieben Todsünden.« Auch die Zehn und die Siebzehn hatten eine besondere Bedeutung, allerdings nicht die Einundzwanzig. Davon ließ Lydia sich jedoch nicht aus dem Konzept bringen. Auch wenn sie mit der Zahlenmystik vielleicht danebenlag, sie war sich sicher, dass heute Nacht etwas geschehen würde. Und dank ihrer Zeichenversuche wusste sie sogar, wo der Killer höchstwahrscheinlich zuschlagen würde: im Eller Forst. Sie konnte ihm auflauern und ihn auf frischer Tat ertappen. Allerdings wäre ihr wohler, wenn zumindest ein Kollege dabei wäre. Aber wem konnte sie trauen, bei wem sicher sein, dass er absolut dichthielt?
45
Halverstett schlüpfte in seinen Mantel. Rita war eben auf die Toilette verschwunden, sie wollte noch einen Bericht fertig tippen und dann ebenfalls Feierabend machen. Vermutlich würde sie zu Hause im flackernden Schein tausender Kerzen alle zehn Minuten nachsehen, ob dieser Tobias schon geantwortet hatte. Falls der andere geheimnisvolle Mann, der kürzlich in ihr Leben getreten war, ihr Zeit dazu ließ. Halverstett wollte die brennende Kerze nicht unbeaufsichtigt zurücklassen, deshalb wartete er an der Tür.
Das Telefon klingelte. Seufzend trat er zurück an den Schreibtisch und hob ab. Das hatte man davon, wenn man nicht rechtzeitig aus dem Büro kam. Eine Frau meldete sich, deren Namen er nicht gleich verstand. Im Hintergrund waren Stimmen zu hören, vielleicht rief sie aus einem Restaurant an.
»Wennig ist mein Name. Wie wenig, aber mit Doppel-N. Ich rufe wegen des Rings an. Der Ring, der in der Zeitung war. Bin ich da richtig?« Sie hatte eine kraftvolle, fordernde Stimme, so als sei es für sie alltäglich, andere herumzukommandieren.
Halverstett griff nach einem Stift und kritzelte »Wennig« auf einen Zettel. »Ja, das ist richtig. Sie kennen den Ring?«
»Nicht den Ring. Aber jemanden namens Wolf, der vor etwa dreißig Jahren verschwand.«
Halverstett setzte sich. »Sagen Sie mir bitte, wo Sie wohnen. Ich würde gern zu Ihnen kommen.«
»Um Gottes willen!«, rief die Frau. »Aber doch nicht heute Abend. Ich habe das Haus voller Gäste.« Wieder dieser Befehlston.
Halverstett klopfte mit dem Stift auf die Schreibtischplatte. »Dann vielleicht morgen? Wo finde ich Sie denn?«
»In Köln.« Sie nannte eine Adresse. »Sie haben wirklich Glück, dass meine Freundin das Foto gesehen hat. Sie hat mir die Zeitung gerade mitgebracht.«
»Könnten Sie mir am Telefon ein paar Fragen beantworten?«
»Wenn es schnell geht.«
»Vor allem eins: Wie hieß dieser Wolf mit Nachnamen?«
»Da haben Sie mich eiskalt erwischt. Ich zerbreche mir schon die ganze Zeit den Kopf, aber es fällt mir einfach nicht ein. Wir hatten mit diesen Leuten nicht viel zu tun, müssen Sie wissen. Wir haben ein paar Jahre lang im Nachbarhaus gewohnt, aber die waren wirklich nicht unsere Kragenweite. Ich weiß nur, dass der Mann Wolf hieß, weil ich die Frau ständig seinen Namen rufen hörte. ›Wolf nicht!‹, oder ›Wolf, bitte!‹. Da ist es manchmal drunter und drüber gegangen, kann ich Ihnen sagen. Aber wir haben uns nicht eingemischt. Das bringt nur Ärger.«
Rita kam zur Tür herein, Halverstett deutete auf das Telefon, sie nickte und glitt lautlos auf ihren Platz.
»Wo haben Sie denn damals gewohnt? Auch in Köln?«
»Ja, in Dellbrück. Im Grünen wegen der Kinder, Sie verstehen?«
Halverstett notierte auch diese Adresse. »Und was ist mit diesem Wolf geschehen?« Aus den Augenwinkeln sah er, wie Ritas Augen groß wurden.
»Ach, angeblich ist er nach Australien gegangen, weil sie ihm da eine gute Arbeit angeboten haben. Wenn Sie mich fragen, der hat es nicht mehr ausgehalten. Die Frau hat ständig gejammert und genervt, und der Junge hat wegen jeder Kleinigkeit geheult, das hält doch kein Mann auf die Dauer aus.«
»Nach Australien? Dann ist er wohl kaum der, den wir suchen.« Halverstett legte den Stift weg.
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