Der Seele weißes Blut
zweitens, dass sie der Louis gegenüber nichts davon erwähnt hat, und drittens finde ich es besonders merkwürdig, dass Mörike bei der Besprechung gestern überhaupt nicht reagiert hat, als ihr Name fiel.«
Niemand antwortete ihr. Chris beobachtete, wie Hackmann sich mit den Händen über das unrasierte Gesicht fuhr. Er sah aus, als hätte er etwas ausgefressen, und überlege nun, wie er sich ohne Schwierigkeiten aus der Affäre ziehen konnte.
»Also, Leute, fragt mich nicht, woher ich das weiß«, sagte er, »aber der Junge war heute bei seiner Schwester. Ich dachte, die Louis hätte ihn vorbeigeschickt, die Aussage aufzunehmen. Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher, ob sie überhaupt davon wusste.«
Die anderen sahen immer verwirrter aus. Chris beschloss, noch eins draufzusetzen. Er räusperte sich. »Dann sollte ich vielleicht ergänzen, was ich heute Nachmittag herausgefunden habe.«
Alle Blicke schossen zu ihm. »Ich habe mit einem Bekannten telefoniert, einem ehemaligen Kollegen. Eigentlich wollte ich ihn nur anrufen, um ihm zum Geburtstag zu gratulieren. Aber wir kamen ins Gespräch über diesen alten Fall. Ich erwähnte, wie blöd es ist, dass die Frau, das Opfer, jetzt in Bayern wohnt. Das würde die erneute Befragung erschweren. Er ist aus allen Wolken gefallen und hat ihren Wohnort noch mal überprüft, um auf Nummer sicher zu gehen. Aber er hatte sich nicht getäuscht. Die Frau ist nach wie vor in Köln gemeldet.«
Meier knallte die Faust auf den Tisch. »Warum zum Teufel erzählt dieser Idiot uns dann, sie sei weggezogen? Versucht er, irgendeine Schlamperei zu vertuschen?«
»Das könnte sein«, meinte Schmiedel. »Aber er muss doch wissen, dass das früher oder später rauskommt. Ich hatte gleich so ein ungutes Gefühl dabei, den Kleinen da allein ranzulassen. Aber er hat sich ja förmlich drum gerissen.«
»Also für mich ergibt das alles keinen Sinn«, murmelte Wiechert. »Kann es sein, dass Mörike mit dem Polizeidienst überfordert ist? Irgendwas stimmt doch nicht mit dem.«
»Der hat was zu verbergen«, sagte Meier grimmig. »So viel steht fest.«
»Aber was?«, fragte Wiechert. »Dass seine Schwester Therapeutin ist? Dass er in der Köln-Sache Mist gebaut hat? Das passt doch hinten und vorne nicht zusammen.«
Chris ging auf die Tür zu. »Ich denke, der Moment ist gekommen, ihn selbst zu fragen. Dann können wir auch gleich nachsehen, was mit der Louis los ist.«
Er trat auf den Korridor. Die anderen erhoben sich ebenfalls und folgten ihm. Eilig lief er den Gang entlang. Er hoffte, dass Ruth Recht behielt und der Praktikant einfach nur einen dummen Fehler zu vertuschen versuchte. Aber sein Bauchgefühl sagte ihm, dass die Wahrheit komplizierter war. Und schlimmer.
Halverstett saß im Mantel auf seinem Stuhl und berichtete von der Anruferin aus Köln.
»Was hältst du von ihr?«, fragte Rita, während sie auf der Tastatur ihres Rechners herumhämmerte.
»Ich weiß nicht. Wenn man die Spekulationen und Gerüchte abzieht, bleibt von ihrer Geschichte nicht viel übrig. Andererseits würde diese angebliche Auswanderung nach Australien erklären, warum in ganz NRW kein Mann namens Wolf vermisst wird.«
»Also gehen wir der Sache nach?«
Halverstett nickte. »Aber erst morgen. Ich bin eigentlich schon seit einer halben Stunde nicht mehr im Dienst.«
»Wem sagst du das«, antwortete Rita, ohne ihr Tippen zu unterbrechen.
Halverstett vervollständigte den Notizzettel und legte ihn auf seine Tastatur, damit er ihn am nächsten Morgen gleich fand. Er gähnte. »Dann mach ich mich mal vom Acker.«
»Nicht bevor du das hier gelesen hast.« Rita grinste ihn über den Bildschirm hinweg zufrieden an.
»Du hast Antwort?«
»Yep.«
»Der Autodieb ist tatsächlich ein Kollege?«
Sie wiegte den Kopf. »Sozusagen.«
Halverstett seufzte. Er verstand, dass seine Partnerin den Moment auskosten wollte, aber er war müde. »Was muss ich tun? Auf die Knie fallen? Dreimal ›bitte bitte‹ sagen?«
»Komm doch einfach her, und lies selbst.«
Halverstett erhob sich, trat neben sie und überflog die kurze Antwort, die dieser Tobias auf Ritas Frage gepostet hatte. Er war noch nicht ganz fertig, als es in seinem Kopf klick machte. Das Puzzleteil, nach dem er gesucht hatte, plötzlich hielt er es in den Händen.
»Komm mit«, sagte er zu Rita. »Wir haben etwas zu erledigen.«
Sie sah ihn überrascht an, doch er hatte keine Lust, sich mit Erklärungen aufzuhalten. Mit drei langen Schritten war
Weitere Kostenlose Bücher