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Der Seelenbrecher

Der Seelenbrecher

Titel: Der Seelenbrecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Einsturz zu bringen.
Er räusperte sich leise, um seine Studenten nicht zu erschrecken, als er sich näherte. Doch die befanden sich weit weg, in einer anderen Welt. Der Beweis für die Existenz der Telepathie, hatte Stephen King einmal geschrieben. Der Autor verpflanzt seine Gedanken in die Köpfe der Leser, er lässt sie, oft über Tausende von Kilometern hinweg, sehen, fühlen, spüren und Orte entdecken, die sie nie zuvor betreten haben.
Aber was, wenn es böse Gedanken sind?
Der Professor, von seinen Studenten noch immer unbemerkt, vermied es, einen Schatten auf Lydias Block zu werfen, als er hinter sie trat. Ihre Mädchenhandschrift erfüllte die gängigen Geschlechterklischees: sauber, ordentlich, geschwungen.
Caspar? stand ganz zuoberst auf dem grauen Umweltpapier. Darunter hatte sie einige Informationen in Klammern gesetzt, die sie durch das Protokoll bislang gewonnen hatte: (Arzt Vater einer Tochter? Hamburg? Kunstfehler?)i>
In der nächsten Spalte beschäftigte sie sich mit dem Seelenbrecher. Der Professor lächelte traurig, als er den letzten Gedanken las, den Lydia mit drei Fragezeichen versehen und doppelt unterstrichen hatte. Seelenbrecher = Jonathan Bruck (Doktor, Kollege, Selbstverstümmelung, Motiv???)
Die letzte Frage war ihr offenbar einen eigenen, etwas eingerückten Absatz wert: MOTIV Sophia quälen? Verhindern, dass Sophia ihr Wissen preisgibt? Über Caspar? Über Caspars Tochter?
    Das Nächste konnte er nicht mehr zweifelsfrei erkennen, weil Lydia mit ihrem Ellenbogen einige Wortteile verdeckte.
Einlieferung = Zufall? (Wie hängt Tom mit drin? Welcher Zusammenhang besteht mit den anderen Opfern?) , glaubte er zu lesen. Der letzte Satz war eindeutig und in Großbuchstaben geschrieben: DIE RACHE DES SEELENBRECHERS?
Der Wind drückte erneut gegen die schlierigen Fensterscheiben, und Patrick sah erstmals auf, allerdings nur kurz, um nach der Wasserflasche vor sich zu greifen. Dass der Leiter des psychiatrischen Experiments nicht mehr an seinem Platz saß, sondern direkt hinter ihm stand, war ihm nicht aufgefallen.
Schon erstaunlich, dachte der Professor und wandte sich von Lydias Notizen ab. Schon erstaunlich, wie man trotz falscher Schlussfolgerungen am Ende doch auf die richtige, alles entscheidende Frage kommt. Sein Blick wanderte, wie von einem unsichtbaren Magneten angezogen, wieder zu dem Kamin, der von hier aus betrachtet so wirkte, als hätte man ihm mit Abfall und Bauschutt das Maul stopfen wollen, damit sein Feuer nie wieder ein Geheimnis preisgeben würde. Das Papier knackte wie ein überdehnter Fingerknöchel, als Lydia auf Seite 196 der Akte umblätterte. Patrick, der etwas langsamer las, folgte ihr einige Minuten später in die Traumwelt von Caspars Erinnerungen.
     

Echorausch
    Seite 196 ff. der Patientenakte Nr. 131071/VL
    In seinem Traum spürte Caspar die Trauer wie ein lebendiges Wesen. Sie bestand aus zahlreichen zeckenähnlichen Körpern, die sich in seiner Seele festgesetzt hatten und jegliche Freude aus ihm heraussaugten.
Wann immer er den Mund öffnete, um sich bei seiner schutzlos zurückgelassenen elfjährigen Tochter zu entschuldigen, kroch ein neuer Schwarm Zecken in seinen Mund, durstig und ausgehungert, mit scharfen Klauen, bereit, sich in die Schleimhäute seiner Luft-und Speiseröhre zu schlagen und sich an seinen Lebensgeistern satt zu trinken. Er wusste, er würde nie wieder glücklich werden. Nicht nach diesem Fehler.
Deshalb setzte er die Flasche erneut an, trank noch einen Schluck, obwohl er kaum noch etwas sehen konnte. Bei dem Regen. Und bei der Geschwindigkeit, mit der er in seinem Wagen über die Landstraße hetzte, auf der Flucht vor sich selbst.
Er dachte, es hätte nichts passieren können. Bei seiner Behandlungsmethode war noch nie etwas schiefgegangen. Und nun geschah es ausgerechnet bei der wichtigsten Patientin seines Lebens.
Er griff zu seiner Aktentasche, zog das Foto heraus, küsste es und hob noch einmal die Flasche.
O Gott, was habe ich dir nur angetan?
Er presste seine Hand um das Passbild, griff bei dem Versuch, den Scheibenwischer eine Stufe höher zu stellen, ins Leere – dann sah er den Baum. Er bremste, schlug die Arme vor das Gesicht und schrie: Was habe ich nur getan?
Dann wurde es hell. Natürlich schlief er noch, er hörte sich selbst unruhig atmen, wie es nur schlafende und kranke Menschen tun, doch trotzdem konnte er nicht aufwachen. Er war weiterhin ein Gefangener eines Alptraums, wenngleich sich die Umgebung plötzlich

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