Der Seelenbrecher
Zeichen. So wie auch das Messer in seinem Hals ein Zeichen gewesen ist. Caspar war entsetzt und fasziniert zugleich, während ihm das Wasser in die Nase stieg, denn der zunehmende Qualm reizte die Schleimhäute. Es dauerte eine Weile, bis Caspar trotz seiner tränenden Augen lesen konnte, was der Seelenbrecher für sie in Spiegelschrift an die Scheibe schrieb. Zuerst dachte er an eine Schlange, dann an ein SOS-Zeichen, bis er schließlich auf das Nächstliegende kam, auch wenn Bruck für den letzten Vokal keine Körperflüssigkeit mehr übrig hatte: Sophi…
Natürlich. Der Irre hatte es ausschließlich auf die Ärztin abgesehen, um sein Werk an ihr zu vollenden. Deshalb hatten sie ja auch nicht damit gerechnet, dass Bruck sie hier unten in der Neuroradiologie angreifen würde, wenn sein eigentliches Ziel doch oben in der Bibliothek auf ihn wartete. Doch nun hatte er sie mattgesetzt. Eingeschlossen, in einer von ihnen selbst verursachten Hölle. Selbst wenn jetzt oben das Schott aufging, würde ihnen das hier unten nichts nutzen. Sie würden an Rauchvergiftung sterben, wenn ihnen nicht bald eine Möglichkeit einfiel, das Feuer zu ersticken.
Aber wie? Der verdammte Feuerlöscher ist draußen. Caspar spähte abwechselnd zu den Flammen und zum Seelenbrecher.
Ich habe ihn extra dort gelassen, damit wir von da aus verhindern können, dass das Feuer in ein anderes Zimmer überspringt.
Die Möglichkeit, eingesperrt zu werden, nachdem sie den Brand gelegt hatten, hatte er nicht bedacht. Ebenso hatte er den zweiten Reinigungskanister vergessen, der in diesem Moment explodierte.
02.43 Uhr
Die Hitzewelle drückte ihn wie eine Windböe zurück, und Caspar meinte zu spüren, wie die Flimmerhärchen auf seinen frei liegenden Hautoberflächen schmolzen. »Hilf mir!«, brüllte Bachmann, dessen rechtes Hosenbein Feuer gefangen hatte. Caspar riss sich die letzten Fetzen seines TShirts vom Leib und erstickte die Flammen mit kurzen, gezielten Schlägen.
Und jetzt?
Sein Shirt hatte kaum für die Hose des Hausmeisters gereicht. Was sollten sie nun der Feuersbrunst entgegensetzen, die mittlerweile auf die Holzpaneele der Zimmerdecke übergriff?
Caspar drehte sich im Kreis, in der verzweifelten Hoffnung, vielleicht doch noch einen zweiten Feuerlöscher an der Wand zu entdecken, dabei fiel sein Blick wieder auf Bruck, der weiterhin mit tollwütigem Blick und Schaumfäden vor dem Mund durch die Scheibe glotzte und fast bedauernd den Kopf schüttelte, als wolle er sagen: »Es tut mir leid, aber ihr seid leider notwendige Kollateralschäden.« Caspar fühlte sich wie ein gefangenes Tier im Zoo, beobachtet von einem wahnsinnigen Besucher, der in seinem Käfig Feuer gelegt hatte und ihm den einzigen Fluchtweg versperrte. Caspar kniete sich auf den Boden, in der Hoffnung, den Qualm hier besser ertragen zu können, und sah zu seinem Schrecken, dass der Brand bereits auf einen Stoffdrehstuhl übergegriffen hatte.
Ohne einen weiteren Moment zu zögern, griff Caspar nach der heißen Metallstange unter dem Sitz, ignorierte den stechenden Schmerz und schleuderte den brennenden Stuhl direkt gegen die Fensterscheibe. Jetzt zitterte das Glas schon etwas heftiger, es knackte sogar, und dort, wo der Sessel aufgeprallt war, hatte er einen feinen Haarriss hinterlassen. Doch sie waren immer noch eingeschlossen.
Caspar wollte erneut nach den Rollenbeinen greifen, konnte nun aber kaum noch etwas sehen. Der Rauch war noch dichter als in den Alpträumen von seiner Unfallfahrt, und er musste beide Hände vor die Augen pressen. Ein Hustenkrampf schüttelte ihn, und er glaubte, seine Lunge würde innerlich zersplittern, als er den Luftzug spürte und begriff, dass Bachmann den Stuhl gefunden und jetzt mit Erfolg durch die Scheibe geschleudert haben musste.
Er blinzelte und sah, wie der Hausmeister den Rest der zersplitterten Scheibe mit seinen Stiefeln heraustrat und sich danach mit der Kraftreserve eines Ertrinkenden über die Fensterkante in den rettenden Nachbarraum hineinzog.
»Hol den Feuerlöscher!«, brüllte Caspar. Hinter ihm hatte der Brandherd jetzt neuen Sauerstoff getrunken. Nur der Kernspin war bislang noch verschont geblieben und konnte deshalb weiter monoton und in brachialer Lautstärke seine Magnetstöße absondern.
»Hallo?«, schrie Caspar und beschloss, sich selbst zu befreien, als er keine Antwort erhielt. In diesem Hitzekessel konnte er nicht bleiben, auch wenn der Sprung über die Glasscheiben für ihn weitaus schmerzhafter werden
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