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Der Seelenbrecher

Der Seelenbrecher

Titel: Der Seelenbrecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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würde als für den Hausmeister. Immerhin war er barfuß. So wie Bruck.
Caspar stützte sich mit beiden Händen auf die stachelige Kante des Fensterrahmens. Die Haut seines Handballens riss, und er schrie auf, als er sein gesamtes Gewicht darauf verlagerte, um sich seitlich in den anderen Raum hinüberzuschwingen. Er rollte sich ab, fiel einen Meter tief nach unten, und eine neue Schmerzwelle flutete seinen Körper, bevor die erste verebben konnte, da er sich beim Aufprall einen spatelgroßen Splitter in die Schulter gerammt hatte. Zusätzlich drehte sich eine Glasscherbe wie ein Kronkorken in seine nackte Ferse und brach beim ersten Schritt tief im Inneren des Fußes ab.
Caspar humpelte weiter zur Wand, griff sich den Feuerlöscher und hätte ihn fast zu Boden fallen lassen, weil er seine verbliebenen Kräfte überschätzt hatte. Doch schließlich gelang es ihm, den Stahlknochen zu dem Schreibtisch zu wuchten, den Hebel zu ziehen und den weißen Sprühschaum so lange auf die verschiedenen Feuerstellen im Untersuchungsraum zu halten, bis jede Flamme in der Radiologie erstickt war.
Erschöpft lehnte er sich gegen den mit Rußpartikeln überzogenen Breitbildmonitor auf dem Schreibtisch. Er bereitete sich innerlich schon auf den nächsten Angriff vor. Denn irgendwo mussten sie ja sein. Bachmann. Und Bruck.
Er wusste, dass er nur die kleinste der drohenden Gefahren gebannt hatte. Umso erleichterter war er, als in der Tür zum Flur auf einmal ein bekanntes Gesicht auftauchte.
»Tom?«, fragte Caspar und legte den Feuerlöscher weg. »Hat es funktioniert? Ist das Schott oben?«
Schadeck schüttelte den Kopf und trat ein. Vermutlich hatte es nicht lange genug gebrannt. Oder der Rauchmelder war doch nicht mit dem Sicherheitssystem gekoppelt.
»Aber wieso bist du dann hier? Hat Bachmann dich geholt?«
»Nein«, sagte Schadeck und trat noch einen Schritt näher. Dann zog er eine Pistole und feuerte Caspar direkt in die Brust.
     

Heute, 13.32 Uhr – Sehr viel später, viele Jahre nach der Angst
    D ie Sturmböe ließ die Villa mit einer Intensität erzittern, als führe unter dem Gebäude eine U-Bahn hindurch. Der Professor hob den Kopf, doch seine Studenten waren viel zu sehr in das Protokoll vertieft, als dass sie sich von den Geräuschen des Windes ablenken ließen. Es war dunkler geworden, und sie hatten eine kleine Leselampe angeknipst, die er vorsorglich zwischen ihnen auf dem Tisch plaziert hatte. Vom anderen Ende der Tafel aus betrachtet, wirkten sie wie zwei Schüler, die gemeinsam für eine Prüfung lernen.
Während Patrick den Kopf auf beide Hände stützte, ließ Lydia einen Bleistift über jede einzelne Zeile des Textes schweben. Ihre Lippen bewegten sich beim Lesen. Rechts neben ihr lag ein Block, auf dem sie sich hin und wieder Notizen machte.
Der Professor stand auf und drückte den Rücken durch. Trotz des ziehenden Schmerzes befolgte er die Ermahnungen seines Orthopäden und ließ seine Schultern alle zwei Stunden in den Gelenken kreisen. In seinen Augen gab der Arzt ihm ebenso wirkungslose Ratschläge wie sein Freund, der ihn seinerzeit zum Besuch dieser Bar überredet hatte.
Lydia machte eine weitere Notiz, und er beschloss, sich den Block einmal anzusehen. Er ging an den leeren Regalen vorbei, aus denen alle Bücher entfernt worden waren. Vermutlich, um sie auf dem Flohmarkt oder im Internet zu verkaufen. Nur ein einziges Werk hatte keinen Interessenten gefunden und stand verstaubt hinter dem zersprungenen Glas einer Vitrine. Der Rücken war zerkratzt und von Mäusekot überzogen, und trotzdem sah das Buch so aus, als wäre es heute Morgen für die ungewöhnlichen Besucher in Position gerückt worden.
Der Professor ging weiter, einerseits, weil er sein hohlwangiges und schuldbewusstes Gesicht nicht länger ertragen wollte, das sich in der Vitrinenscheibe spiegelte. Andererseits, weil er gar nicht wissen wollte, um welchen Band des medizinischen Lexikons genau es sich handelte. Bislang hatte er es auch vermieden, den Kamin in Augenschein zu nehmen. Doch jetzt blieb sein Blick an einer gequetschten Plastikkanüle hängen. Sie ragte wie ein Mikadostab zwischen einer verbogenen Fernsehantenne, Kabelresten und einer herausgerissenen Teppichfliese hervor.
Tu es nicht!
Eine innere Stimme befahl dem Professor, die Spritze an Ort und Stelle zu lassen.
Sie hätte gar nicht so laut brüllen müssen. Er hatte ohnehin nicht vorgehabt, die Kanüle herauszuziehen und damit womöglich das Kartenhaus seiner Psyche zum

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