Der Seelenbrecher
Witterung aufgenommen. Ein Fuchs oder ein Wildschein vielleicht. Aber dann würde es nach Maggi riechen. Wildschweine rochen immer nach Gewürzverstärker. Oder nach verfaultem Schmalz, das hatte er auf ihren zahlreichen Waldspaziergängen gelernt. Der Duft hing manchmal noch Stunden in der Luft, lange nachdem die Tiere diese Stelle überhaupt passiert hatten, doch davon war hier in der Zufahrt nichts zu spüren. Hier roch es nur nach verbranntem Papier, nach Holzkohle, was kein Wunder war, bei den vielen Kaminen in der Villa hinter ihm.
»Warte doch …« Er überlegte, ob er besser die Leine loslassen sollte. Mit jedem Schritt den Hang hinab wurde es schwieriger. Der Schnee war frisch gefallen, hatte die Eisflächen über dem Asphalt verdeckt, und der Pförtner konnte ja noch gar nicht gestreut haben. Er hatte ja extra so lange gewartet, bis er weg war. Doch genutzt hatte es gar nichts.
Er tastete in die Innenseite seines Wintermantels, doch da war nichts mehr. Das war ja alles verbrannt. Gerade eben, vor seinen Augen.
Der tiefe, melancholische Schmerz der Trauer baute sich wie eine unüberwindliche Wand vor ihm auf. Alles vergebens. Alles umsonst. Er hatte einen letzten Versuch unternommen und war gescheitert, erwartungsgemäß. Und jetzt stand er hier in der Zufahrt, unfähig, sich zu bewegen, unfähig, die Mauer seiner Depression zu zerschlagen, die ihn an der Rückkehr in ein normales Leben hinderte.
Sein Arm schnellte nach vorne, als Tarzan wieder anzog, doch sein Körper blieb stehen. Erstarrt. Kalt, wie die vereisten Tannenzweige am Wegesrand, die unter der Last des Neuschnees zu zerbrechen drohten. Er wankte etwas, stemmte sich gegen die Kraft, die an ihm zerrte. Und dann … hörte er das Brodeln. Während er fiel, begann es um ihn herum zu rauschen, wie ein Topf mit überschäumender Milch. Das Geräusch mischte sich mit einem Flüstern. Die Welt drehte sich um ihn, er hörte Zweige brechen, sah die Bäume plötzlich aus einem anderen Winkel, spürte, wie sich die Leine fester um sein Handgelenk zog, und dann knackte es wieder, obwohl keine der Fichten einen Ast verlor. Gleichzeitig wurden sowohl das Brodeln wie auch das Flüstern lauter, was eigentlich gar kein Flüstern mehr war, sondern jetzt einer hellen, leicht verzerrten Stimme glich, die sich immer weiter von ihm entfernte.
Dann hörte er etwas brechen, ein Stück Holz oder einen Knochen, und er begriff, dass es in dem Moment geschehen sein musste, als sein Kopf aufschlug. Kurz bevor die Flammen kamen, direkt vor ihm. Nicht aus dem Armaturenbrett, wie damals, an dem Tag, als alles begann. Sondern aus dem Kamin, in dem die Zweige knackten und in dem das brodelnde Feuer von einem eisigen Wind über dem Schornstein nach oben gesaugt wurde. Und dann hörte er auch die Stimme. Metallisch verfremdet, dafür laut und klar.
»Du kannst sie haben«, sagte sie. »Hol sie dir doch.«
03.20 Uhr
Caspar wollte die Augen aufschlagen, um dem Traum zu entfliehen, doch es gelang ihm nicht. Denn er war bereits wach. Das Feuer vor ihm, in das er seit geraumer Zeit starrte, war ebenso real wie die Worte, die er über die Haussprechanlage hörte.
»Komm und hol sie dir!«, knarrte Schadecks Stimme aus dem Lautsprecher über seinem Kopf.
Tom? Verdammt, was macht er da?
Caspars Versuch, von seinem Stuhl in der Bibliothek aufzustehen, schlug aus mehreren Gründen fehl. Hauptsächlich, weil sowohl seine Psyche als auch sein Körper nach den Folter-und Gewaltexzessen der letzten Stunden nicht mehr in der Lage waren, die einfachsten Dinge zu verrichten. Er hatte sich beinahe eine Rauchvergiftung zugezogen, war gegen seinen Willen unter Betäubungsmittel gesetzt worden, und abgesehen von seinen Schnittwunden an Händen und Füßen, hatte ihm der Seelenbrecher vermutlich das Nasenbein zertrümmert, wobei die Kopfschmerzen und die frostige Übelkeit ganz sicher von seiner Gehirnerschütterung herrührten, die er Schadeck verdankte. Er hatte nicht mehr die Kraft zum Aufstehen. Die Bademantelkordel, mit der Schadeck seine Hände hinter dem Rücken mit der Stuhllehne zusammengebunden hatte, wäre gar nicht mehr notwendig gewesen.
»Du kannst sie haben, Bruck. Ich habe Sophia in die Eingangshalle geschoben.«
Das Mikrophon der Hausanlage erzeugte eine leichte Rückkoppelung, bevor Schadeck die Sprechtaste wieder losließ.
O mein Gott. Er will sie opfern.
Als würden Schadecks Worte den letzten Funken Hoffnung in ihm ersticken wollen, wurden die Flammen im Kamin auf einmal
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