Der Seelenbrecher
schmaler, und dichter Qualm schlug in die Bibliothek.
Caspar schloss seine tränenden Augen und hoffte, der Schneesturm, der von außen in den Schornstein hineindrückte, würde wieder etwas nachlassen.
»Du willst sie haben? Du kriegst sie. Sie ist dein Weihnachtsgeschenk, Bruck. Nimm dir die Ärztin, mach mit ihr, was immer du willst, aber dann hau ab. Das ist unser Deal, okay?«
Caspar startete einen weiteren Versuch, sich aufzurichten. Alles, was er erreichte, war, dass er beinahe ins Feuer gefallen wäre. Er begann zu schwitzen.
»Du kannst auch die anderen haben. In der Bibliothek, dort wo du schon Yasmin abgestochen hast. Die Oma lebt noch.«
Caspar drehte den Kopf nach hinten und sah, dass sich Gretas Körperhaltung tatsächlich etwas verändert hatte. Ihr Mund war jetzt geschlossen.
»Und der Psycho ist gefesselt. Also hast du leichtes Spiel. Schnapp sie dir oder hol dir nur Sophia … ganz egal, Hauptsa…«
Schadeck erstarb mitten im Wort, hielt aber die Sprechtaste weiterhin gedrückt.
»Scheiße, nein … was …«
Kurz darauf hörte Caspar ein Geräusch, als ob jemand unter einem gedeckten Tisch eine Decke wegreißen würde.
Zwei Sekunden später knackte es, und der abgeschnittene Schrei hallte in den leeren Räumen der Villa nach. Und in seinem dröhnenden Kopf.
Du bist ein Idiot, Schadeck. Du bist ein solcher Idiot … Was hatte Bachmann gesagt? Es gab nur zwei Orte, an denen man die Hausanlage bedienen konnte? Der Pfleger hätte sich gleich neben eine Zielscheibe setzen können. Fraglich war nur, ob Bruck ihn ausgeschaltet hatte, bevor oder nachdem er zu Sophia gegangen war. Ganz sicher ist nur eins …
Caspar ruckelte verzweifelt an seinen Fesseln und spähte zu der angelehnten Flügeltür zum Flur, von der Schadeck den Schlüssel abgezogen hatte.
… jetzt ist Bruck auf dem Weg zu uns!
Es dauerte nicht lange, da sollten die Schlurfgeräusche draußen im Gang ihm recht geben.
03.23 Uhr
Feuer.
Rauch.
Bücher.
Greta.
Auf der Suche nach einer Chance, dem Unvermeidlichen zu entkommen, hatte sein Gehirn den Energiesparmodus aktiviert. Caspar war nur noch zu Einwortgedanken fähig, während seine Augen die Bibliothek abtasteten. Rätselkarten.
Bruck.
Greta.
Bücher.
Während er auf einer Ebene seines Bewusstseins die Tatsache abspeicherte, dass das Schlurfen auf dem Gang bereits für mehrere Sekunden ausgesetzt hatte, verbrauchte sein Selbsterhaltungstrieb die allerletzten Reste seines Adrenalinvorrats. Er starrte ins Feuer, dachte an das Auto, in dem er fast verbrannt wäre, und fragte sich, ob das ein gnädigerer Tod gewesen wäre. Dann schloss er die Augen und wurde das Bild von einer imaginären Uhr in einem brennenden Armaturenbrett nicht los, die seine verbleibende Lebenszeit maß. Der Zeiger war bereits im roten Bereich.
Feuerrot.
Das war es. Die letzte Möglichkeit.
Kamin.
Rauch.
F e u e r!
Caspar hörte mit den zwecklosen Versuchen auf, die Schulterblätter zu dehnen und an der Kordel zu reißen, sondern ruckelte stattdessen mit seinem gesamten Gewicht auf der Sitzfläche des Stuhls nach vorne. Dem Rauch entgegen.
Das Feuer. Ich muss zum …
Er warf sich seitwärts, einmal. Dann ein zweites Mal. Schließlich überschritt er den Scheitelpunkt, und die Schwerkraft waltete ihres Amtes. Langsam fiel er zu Boden. Er schlug auf und wurde schmerzhaft daran erinnert, dass er sich die Schulter bereits beim Sturz vom Seziertisch verrenkt hatte. Sein Kopf fiel etwas sanfter in einen Haufen kalter Asche, in die er jetzt seine Qual hineinbrüllte.
Ich muss zum Feuer , dachte er und wiederholte diesen Gedanken fortan wie ein Mantra. Immer und immer wieder.
Noch lag er an den Stuhl gebunden, etwas zu schräg und viel zu weit von den Flammen entfernt. Aber wenigstens hatte er so die Tür besser im Auge, die sich noch keinen Millimeter bewegt hatte. Noch war nicht alles verloren. Er zog seine Beine an, warf das Kaminbesteck um, als er sich dagegen stemmte, doch an der wachsenden Hitze in seinem Rücken merkte er, dass er seinem Ziel etwas näher gekommen sein musste.
Als Nächstes warf er sich mit voller Wucht gegen die ächzende Lehne, noch einmal, und dann, ohne Vorwarnung, wurde die Qual unerträglich. Caspar schrie so laut, wie er es erst einmal in seinem Leben getan hatte. Damals, als er fast in seinem Wagen verbrannt wäre. Jetzt schienen die Flammen ihre zweite Chance zu wittern, das Werk zu vollenden, das sie vor langer Zeit begonnen hatten. Diesmal versengten sie nicht seine Brust, sondern
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