Der Seelenfänger (German Edition)
Vater hier in eine andere Person verwandelte.
Mit Inquisitor Wolf nach Coney Island zu fahren, war freilich etwas anderes.
Wolf hieß Sascha und Lily in eine wartende Droschke steigen, die sie ungesäumt zur Brooklyn-Bridge brachte. Dort zählte er am Fahrkartenschalter der Prospect Park and Coney Island Railroad Company die unglaubliche Summe von drei Dollar ab, und dann nahmen alle drei im Expresszug nach Coney Island Platz: ohne Halt in kaum zweiunddreißig Minuten bis zum Vergnügungspark.
Wolf machte es sich in einer Ecke bequem, legte seine langen Beine auf die Sitzbank und holte ein Exemplar der New York Tribune hervor, das er einem Zeitungsjungen abgekauft hatte. Dabei hatte er noch Zeit gefunden, Kleingeld an drei oder vier Bettler auszuteilen.
Dann löste er das Kreuzworträtsel. Mit Füller. In genau zehn Minuten.
Wenig später fuhren sie in das Coney Island Railway Terminal ein. Wolf hatte es eilig. Mit wehenden Rockschößen lief er über den Bahnsteig, seine Schritte hallten unter der hohen Glaskuppel des Bahnhofs wider. Sascha heftete sich an seine Fersen.
Das Erste, was Sascha draußen vor dem Bahnhofsgebäude auffiel, war ein Elefant – oder genauer gesagt der Elefant. Das Hotel Elefant war die berühmteste Sehenswürdigkeit in Coney Island, berühmter noch als der Lunapark. Es stach sogar das berühmte Riesenrad von George W. G. Ferris aus. Der Elefant beherrschte die Skyline des ganzen Vergnügungsparks derart, dass »den Elefanten sehen« in der Sprache der New Yorker so viel hieß wie einem verbotenen Vergnügen frönen.
Das Hotel Elefant sah aus wie das Ergebnis eines Frontalzusammenstoßes zwischen dem Tadsch Mahal und dem Flatiron-Hochhaus. In den stämmigen Vorderbeinen des Kolosses befand sich ein Zigarrenladen und ein Fotokabinett. In den Hinterbeinen waren zwei Wendeltreppen, eine für den Gästestrom nach oben, die andere für den nach unten. Der mehrere Stockwerke hohe, ballonförmige Rumpf beherbergte Läden und Gästezimmer.Getragen wurde diese schwindelerregende Konstruktion von massiven Stahlträgern. Im Kopf des Elefanten befand sich eine Sternwarte (freilich höhnten böse Zungen, die einzigen Sterne, die man von dieser Warte aus zu Gesicht bekam, seien die elektrischen Lichter des Mehrfachloopings des Lunaparks). Schließlich erhob sich auf dem Rücken des Elefanten noch die Aussichtsplattform des weltberühmten Starlite Ballroom. Hier tummelten sich die Schönen und Reichen und die Großen der Gesellschaft.
Zwischen dem Hotel Elefant und dem Lunapark verlief die Surf Avenue.
Die Surf Avenue war atemberaubend. Hier standen persische Paläste neben chinesischen Pagoden. Lappländische Rentiere trabten neben Kamelen, an der nächsten Ecke führten Schlangenbeschwörer ihre Kunst auf. Sudanesische Scheichs tanzten mit Nixen aus der Südsee zu den wilden Klängen von fiedelnden Zigeunern und trommelnden Medizinmännern. Und dazu kamen natürlich noch die Fahrgeschäfte und die Monsterschauen.
Wohin Sascha auch blickte, überall sprangen ihm Werbetafeln ins Auge, und jede pries eine berühmte oder sogar berüchtigte Attraktion an.
HABEN SIE MUMM für eine Schussfahrt?
Unsere Rutsche wartet auf Sie!
Werden Sie Zeuge der Weltpremiere des
TASMANISCHEN TEUFELSJUNGEN !
SCHAUEN SIE SICH JOLLY TRIXIE AN !
Sieben Männer sind nötig, sie zu UMARMEN !
Heiliger Bimbam! Sie ist kolossal, einfach kolossal!
Jede Werbetafel versprach noch wildere, noch abartigere, noch nie gesehene Sensationen. Waren die Texte schon unverblümt, so waren die Rufe der Anpreiser, die vor jedem Eingang standen, noch um einiges reißerischer: »Schauen Sie Little Cairo beim orientalischen Tanz zu. Die heißeste Show der Welt! Ohne die kühle Atlantikbrise würde sie in ihrem eigenen Feuer verbrennen!«
»Hereinspaziert, meine Herrschaften! Nur keine Scheu! Erleben Sie Mighty Atom in Bewegung. Fühlen Sie seine Muskeln. Hören Sie seine Geschichte an. Werden Sie Zeuge seiner unglaublichen Kraftnummern. Mit jeder Eintrittskarte erwerben Sie ein Exemplar von
Bodybuilding für jedermann
!«
»Trödel nicht!«, mahnte Wolf, der schon auf der Uferpromenade weit vorangegangen war.
Sascha riss sich von
Bodybuilding für jedermann
los. »Entschuldigung, ich komme schon.«
Als Sascha wieder zu den anderen aufgeschlossen hatte, sah er, dass sich Lily an einer ganz anderen Attraktion von Coney Island gütlich tat. Irgendwie hatte sie die Zeit gefunden, einen großen schmalzgebackenen Kringel
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