Der Seelenfänger (German Edition)
…«, unterbrach ihn Wolf.
Moische zuckte nur die Schultern. »Was weiß ich von Dibbuks? Ich bin Atheist bis ins Mark! Die einzigen Menschen auf der Lower East Side, die etwas von Dibbuks verstehen, sind Rabbis. Und das sind alles feige bourgeoise Reaktionäre. Die wollen doch nur, dass die Morgaunts dieser Welt uns Werktätige niedertrampeln, damit wir dann unseren Lohn im Himmel oder in Brooklyn ernten – Orte, deren Existenz, wenn ich das anfügen darf, nicht wissenschaftlich bewiesen sind.«
»Jetzt aber«, meldete sich Sascha, »Brooklyn, also komm, Moische, da hält doch die U-Bahn!«
»Ha! Wenn du alles glaubst, was auf einem U-Bahn-Plan steht, habe ich eine Brücke zu verkaufen!«
Sascha schüttelte immer noch den Kopf, als er mit Wolf und Lily schon wieder auf dem Weg treppab war. Wolf stieß die Eingangstür auf und sagte etwas von einer Droschke. Sascha staunte, denn seit Menschengedenken war noch nie eine Droschke in der Hester Street gesichtet worden.
Aber Wolf hob nur die Hand und drängte sich in den nachmittäglichen Menschenstrom wie ein Schwimmer, der in die Meeresbrandung watete. Und auf einmal kam ein Pferd um die Ecke getrabt, und der Kutscher sprang vom Bock und bat Wolf, einzusteigen.
»Ich bringe euch beide zurück ins Büro«, versprach Wolf dem immer noch staunenden Sascha. »Ihr kommt ja sonst zu spät zum Abendessen heim.«
Sascha zögerte. Es war schon später Nachmittag. Jetzt den ganzen Weg zurück nach Hell’s Kitchen zu fahren, um dann mit der U-Bahn die Heimreise anzutreten, erschien ihm ziemlich sinnlos. Ihm fiel aber keine Ausrede ein, hierzubleiben, da er eben noch behauptet hatte, außerhalb von Manhattan zu wohnen. Also stieg er ein und fand sich damit ab, eine lange, sinnlose und teure Rundfahrt zu machen.
Als Sascha schließlich am Astral Place aus der U-Bahn kam, wurde es draußen schon dunkel.
Von Unruhe getrieben, ging er die Bowery hinunter. Es war die menschenleere Stunde zwischen abendlichem Stoßverkehr und den vergnügungslustigen Scharen, die nach dem Abendessen in die Theater drängten. Die wenigen Leute auf dem Bürgersteig waren Flaneure, die sich in Chinatown unters gemeine Volk mischen wollten, und die Kleinkriminellen, die ihnen auflauerten. Alle paar Minuten ratterte die Hochbahn Dampf und Kohlenstaub ausstoßend über Saschas Kopf hinweg und jedes Mal schaute er ängstlich um sich.
Er beschleunigte seine Schritte und versuchte, selbstsicherer auszusehen, als er sich in Wirklichkeit fühlte. Schließlich war er nur noch wenige Häuserblocks von zu Hause entfernt.
Gerade hatte er die heimeligen Lichter des Metropol hinter sich gelassen, als er gewahr wurde, dass jemand ihm folgte. Woran er es merkte, hätte er nicht sagen können, aber zwischen der Frage, woher wohl das seltsame Echo seiner Schritte kam, und der Gewissheit, dass jemand hinter ihm her war, vergingen nur ein paar hastige Atemzüge. Sein Verfolger, wer immer es auch sein mochte, hielt Schritt mit ihm, verlangsamte seine Schritte, wenn Sascha es tat, ging wieder schneller, wenn Sascha schneller wurde.
Sascha bereute es bitter, nicht ins Metropol gegangen zu sein. Um diese Zeit hätte Onkel Mordechai dort sein können oder doch ein Bekannter, den er um die Gefälligkeit, ihn zu begleiten, hätte bitten können. Nun war es zu spät. Hätte er jetzt kehrtgemacht, wäre er seinem Verfolger geradewegs in die Arme gelaufen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als weiterzugehen.
Er bog in die Hester Street ein und hoffte, dass ihn ein paar freundliche Gesichter von den Stufen der Hauseingänge anlächelten. Aber da war niemand. Die letzten Abendkunden und Wanderhändler waren schon längst nach Hause gegangen. Auf den Pflastersteinen lagen Stoffreste aus den Schneiderateliers, alte Zeitungen und verdorbenes Essen. Die Wäsche, die zum Trocknen auf den Feuertreppen hing, erinnerte ihn an Gehenkte, die im Wind baumelten. Noch nie hatte Sascha die Hester Street so still und menschenleer gesehen. Selbst die Schaufensterpuppen in den Auslagen schienen ihn mit kalten, lieblosen Augen anzustarren.
Und düster war es obendrein. Die Bowery gehörte zu New Yorks berühmten hellen Straßen, in denen Tag und Nacht Edisons neues elektrisches Licht brannte. Doch in den engen Nebenstraßen, wo die großen Mietskasernen standen, mussten sich die Menschen mit Gaslaternen begnügen, und davon gab es nicht viele. Die wenigen Lichter der Laternen bildeten nur unsicher flackernde Lichtinseln in einem Meer aus
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