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Der Seelenfänger (German Edition)

Der Seelenfänger (German Edition)

Titel: Der Seelenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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»dass ein Neffe von Mordechai Kessler nur so kleinkariert sein kann!« Er schüttelte immer noch den Kopf, als die Tür zu Saschas Wohnung aufging und Beka herausschaute.
    »Sascha!«, rief sie. »Was lungerst du da im Treppenhaus herum? Das Abendessen steht auf dem …«
    Da erkannte sie Moische und verstummte.
    Sascha sah erst Moische an, dann wanderte sein Blick zu seiner Schwester, dann wieder zurück zu Moische.
    »Das kann nicht sein!«
    »Du«, warnte ihn Beka. »Wage es, nur ein Wort zu sagen!«
    »Beka …«, setzte Moische an.
    »Und du«, wandte sie sich jetzt an ihn, mit einer Stimme, die geradezu unheimlich derjenigen ihrer Mutter ähnelte. »Hast du nicht schon genug Ärger gemacht? Verzieh dich augenblicklich!«
    Moische wollte protestieren, aber ein Blick in Bekas zorniges Gesicht ernüchterte ihn. Er ließ die Hände sinken und trollte sich wie ein Mann, der wusste, dass er eine Niederlage erlitten hatte. Bei dem Anblick musste Sascha grinsen: Offenbar hatte Beka ihren Moische schon unter dem Pantoffel.
    »Ich will nichts mehr davon hören«, stellte Beka klar. Sie hielt die Wohnungstür auf, aber Sascha wollte noch nicht eintreten.
    »Das kann doch nicht sein«, wiederholte er so leise, dass die Mutter ihn nicht hören konnte. »Moische Schlosky?«
    »Ach, und du gehst natürlich mit Mary Pickford! Ich wette, dass du noch nicht mal ein Mädchen
geküsst
hast!«
    »Schon, aber … Moische? Er ist doch so …, so … dürr!«
    »Du bist so oberflächlich, so hohl, so banal …«
    »Wartet ihr beiden da draußen auf den Messias?«, rief Mutter Kessler aus dem Inneren der Wohnung. »Kommt rein und setzt euch. Das Essen wird sonst kalt.«
    Sascha schüttelte immer noch verwundert den Kopf bei der Vorstellung, dass Beka einem wie Moische ihr Herz geschenkt hatte. Darüber hätte er fast Moisches unglaubliche Bitte vergessen, Wolf für die Streikenden auszuspähen. Als ob er nicht schon genug Probleme hätte!
    Als die übrige Familie sich zu einem Plausch bei einer Tasse Kaffee an den Küchentisch setzte, ging Sascha ans Fenster und schob vorsichtig den Vorhang beiseite.
    Unten auf der Straße war nichts zu sehen. Keine Gestalt am Rand des Laternenscheins.
    Aber aus einem unerfindlichen Grund machte ihn das nur noch unruhiger. Wer oder was war ihm da gefolgt? Und war es nur Zufall, dass diese stumme Schattengestalt zuerst in der Nacht aufgetaucht war, in der sowohl seine Mutter als auch Edison angegriffen worden waren?
    Die Frage ließ ihm auch am folgenden Morgen keine Ruhe. Da erfuhr er auf dem Weg zur Arbeit, dass der Dibbuk versucht hatte, Edisons Lunapark-Labor in Brand zu stecken.

9   Der Zauberer des Lunaparks
    New Yorker mögen über fast alles in der Welt verschiedener Meinung sein, aber in einem sind sie sich einig: Sie lieben Coney Island. New Yorker aller Rassen, Religionen und Nationalitäten verkehren dort in rauer Herzlichkeit miteinander. Ein jüdischer Junge aus der Hester Street konnte sich nur unter Gefahr für Leib und Leben – oder doch zumindest für seinen Stolz – nach Hell’s Kitchen oder Little Italy wagen. Auf Coney Island dagegen konnte er sich unter irische, italienische, deutsche und griechische Jungen mischen, weil alle nichts anderes im Sinn hatten, als sich auf den Fahrgeschäften und vor den Schaubuden zu amüsieren. Auf Coney Island waren berufliche und sonstige Pflichten vergessen. Jeder hielt sich hier an die Philosophie des »leben und leben lassen« oder besser noch des »spielen und spielen lassen«.
    Selbstverständlich war Sascha schon früher hier gewesen. Seit er sich erinnern konnte, waren er und Beka zusammen mit ihrem Vater mehrmals im Jahr an Bord der Fähre gegangen, die sie für fünf Cent zu dem berühmten Vergnügungspark brachte. Mrs Kessler kam niemals mit; sie sagte immer, dass sie an einem freien Tag Besseres zu tun hatte, als sich auf der Uferpromenade die Absätze abzulaufen und wie ein Karpfen mit offenem Mund alles anzustaunen. Aber Mr Kessler liebte Coney Island. Es schien der einzige Ort in New York zu sein, wo er seine Sorgen vergaß und das Leben genoss. Nur hier konnte sich Sascha vorstellen, dass sein Vater und Onkel Mordechai tatsächlich Brüder waren. Hätte man Sascha gefragt, auch er hätte sich zu seiner Vorliebe für Coney Island bekannt, aber nicht wegen der Fahrgeschäfte oder der Uferpromenade, auch nicht wegen der fliegenden Händler, der Schaubuden oder der geschälten Erdnüsse. Nein, er liebte es dafür, dass sich sein

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