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Der Seelenfänger (German Edition)

Der Seelenfänger (German Edition)

Titel: Der Seelenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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Finsternis.
    Jetzt war er nur noch einen Häuserblock von zu Hause entfernt. Noch einen halben Block, noch drei Eingänge. Und immer noch hörte er die Schritte hinter sich. Sie kamen nicht näher, sie wurden nicht leiser, sie folgten ihm nur. Sascha hatte das gleiche Gefühl wie in manchen Albträumen: Man läuft und läuft, bis man begreift, dass es ein erlösendes Erwachen nur gibt, wenn man stehen bleibt und sich von dem Ungeheuer packen lässt. Schließlich wurde der Drang, sich Gewissheit zu verschaffen, so unerträglich, dass er sich möglichst unauffällig im Weitergehen umdrehte.
    Und wirklich, da war einer im Schein der letzten Straßenlaterne. Ein Schatten ohne Konturen und doch unleugbar vorhanden. Das Gesicht war nicht zu erkennen, aber so wie er da stand, mit seinen schmalen Schultern, kam er Sascha auf unheimliche Weise bekannt vor.
    Sascha blickte kurz nach vorn und schätzte die Entfernung bis zum Eingang seines Hauses. Ihm zitterten die Beine, sein ganzer Körper war gespannt wie eine Sprungfeder. Wenn er jetzt losspurtete, würde er es bis zum Eingang schaffen? Und wenn nicht, was geschähe dann?
    Er hatte die Augen nur für den Bruchteil einer Sekunde abgewendet, sein Blick war nur kurz zum Hauseingang gehuscht. Kein Wesen aus Fleisch und Blut konnte so rasch wieder im Schatten verschwinden. Und doch, als er sich wieder umschaute, war der Verfolger nicht mehr da.
    Mit fiebrigen Augen suchte Sascha die menschenleere Straße ab, aber da war keine Schattengestalt. Wäre da nicht der kalte Schauer im Rücken, er hätte denken können, sich alles nur eingebildet zu haben.
    Als Sascha im dritten Stockwerk ankam, hörte er schon, wie sich seine Mutter und sein Vater kabbelten, während Beka gerade den Tisch deckte und Onkel Mordechai über der Abendzeitung kicherte. Froh über die vertrauten Geräusche in der elterlichen Wohnung verschnaufte er noch kurz vor der Tür, als eine skelettartige Hand aus dem Schatten kam und ihn an der Schulter packte.
    Vor Schreck schrie er auf, das Herz klopfte ihm bis zum Hals, er wirbelte herum – und erkannte Moische Schlosky.
    »Pst«, machte der. »Jetzt kreisch doch nicht wie ein Mädchen!«
    »Ich habe nicht wie ein Mädchen gekreischt!«, protestierte Sascha, schwankend zwischen der Wut über Moische und der Verlegenheit über den zugegebenermaßen ziemlich hohen Ton, der ihm zuvor tatsächlich entfahren war.
    »Doch, das hast du. Aber egal. Ich muss mit dir reden.«
    »Gut, aber dann rede mit mir wie ein normaler Mensch und lauere mir nicht ihm dunklen Treppenhaus auf!«
    »Sehe ich wie der Vermieter aus?«, fragte Moische lachend. »Ist es etwa meine Schuld, dass es hier kein Licht im Flur gibt?«
    »Bitte, Moische, was willst du eigentlich von mir?«
    »Einen Gefallen, weiter nichts. Du arbeitest doch für den Inquisitor, nicht wahr?«
    »Ja. Und?«
    »Dann weißt du, was er vorhat und wie die Ermittlung läuft.«
    »Ich denke schon«, räumte Sascha zögernd ein. Ihm gefiel überhaupt nicht, worauf das Gespräch hinauszulaufen schien.
    »Ja, könntest du mich nicht …, äh …, darüber auf dem Laufenden halten?«
    »Das könnte mich meinen Job kosten!«
    »Die Klassensolidarität verlangt das von dir!«
    Sascha brach in schallendes Gelächter aus. »Jetzt machst du wohl Scherze. Sag das noch einmal, aber mit ernstem Gesicht!«
    Drinnen in der Wohnung wurden die freundlichen Stimmen plötzlich vom Geräusch der losratternden Nähmaschine überdeckt. Wahrscheinlich wollte Mo Lehrer auf der fußbetriebenen Maschine noch rasch ein Dutzend Hemden säumen, während seine Frau das Abendessen richtete. Nach dem Essen wartete dann noch die Nachtschicht auf sie. Sascha begriff auf einmal, was für ein hartes Leben sie hatten und wie weit es weg war von Lily Astrals Welt mit ihren herrschaftlichen Häusern und Limousinen.
    »Ist das alles, was du im Leben erreichen willst?«, fragte Moische, als könnte er Saschas Gedanken lesen. »Willst du der Dienstbote für die Carbunkles, Vanderbilks und Morgaunts sein? Hast du kein höheres Ziel?«
    »Ich will für meine Familie sorgen«, antwortete Sascha trotzig.
    »Ja, gewiss, das tun wir alle. Dafür arbeitet auch deine Schwester und viele andere Mädchen wie sie. Wir bitten dich ja nur um Mithilfe.«
    »Dann frag jemand anderen.«
    »Könntest du dir das noch einmal überlegen?«
    »Moische, egal wie lange ich darüber nachdenke, ich tue es nicht!«
    »Ach«, jammerte Moische mit der Stimme eines Mannes an der Klagemauer,

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