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Der Seelenfänger (German Edition)

Der Seelenfänger (German Edition)

Titel: Der Seelenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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    »Magst du auch ein Stück?«, fragte sie hinter einer Wolke Puderzucker.
    Es duftete verführerisch. Aber er wollte nicht, dass sie von ihm dachte, er bekomme daheim nicht genug zu essen. Und außerdem, weiß der Himmel, in was für Schmalz das gebacken worden war.
    »Nein, danke.«
    Sie standen jetzt vor dem Tor des Lunaparks und selbst Lily musste staunen. Es sah aus wie der Eingang zu einem türkischen Serail, einschließlich Halbmond und Minaretten. Und jeder Quadratzoll des Gebäudes war mit blinkenden Glühbirnen bedeckt. Das Ganze schien nur aus funkelnden Sternen zu bestehen. Was sie drinnen erwartete, war nicht weniger verblüffend: Fahrgeschäfte, Attraktionen, Schaubühnen – alles leuchtete in dem hellen, flimmerlosen, elektrischen Licht. Es strahlte selbst am helllichten Tage. Sascha versuchte sich vergeblich vorzustellen, wie es wohl erst nach Einbruch der Dunkelheit aussehen würde.
    Als sie schließlich Edisons Laboratorium erreichten, war der Zauberer des Lunaparks gerade dabei, das zu tun, was er jeden Tag von acht Uhr dreizehn bis zehn Uhr neun tat (Sonntage ausgenommen): Er saß in seinem Erfinderstuhl und dachte sich Erfindungen aus.
    Vor Edison waren Erfinder schnurrige Exzentriker gewesen, die aus reinem Vergnügen ein wenig wissenschaftlich herumexperimentierten. Edison aber hatte aus dem Erfinden ein Riesengeschäft gemacht – genauso wie es Henry Ford mit der Autoherstellung getan hatte, Cornelius Vanderbilk mit dem Eisenbahnwesen und J.P. Morgaunt mit der Stahl- und Textilindustrie und quasi allen anderen Gütern des modernen amerikanischen Lebens.
    Jede Minute seiner Lebenszeit war bis auf die Sekunde verplant. Jedes Experiment, jede Idee, jeder flüchtige Gedanke wurde in seinen berühmten Notizbüchern festgehalten für den Fall, dass darin der Same für eine verwertbare Erfindung enthalten sein könnte. Mehr noch, Edison wartete nicht auf Inspiration, er machte geradezu Jagd auf sie.
    Dazu brauchte er den Erfinderstuhl. Es war ein Holzstuhl mit gerader Rückenlehne sowie zwei paddelförmigen Armlehnen. Die rechte Armlehne verbreiterte sich in eine Schreibunterlage. Auf der Unterlage lag ein gespitzter Bleistift bereit und ein schwarzes, ledergebundenes Labornotizbuch, das stets auf einer noch unbeschriebenen Seite aufgeschlagen war.
    Als Wolf und seine Lehrlinge eintraten, saß Edison auf seinem Erfinderstuhl, die Hände über den Armlehnen hängend, sein Kopf pendelte schläfrig hin und her. In jeder Hand hielt er eine Stahlkugel. Exakt unter seinen Händen standen zwei runde Blechformen für Apfelkuchen, die die Kugeln, sollte Edison sie fallen lassen, auffingen.
    »Was macht er da?«, fragte Lily flüsternd.
    »Er erfindet.«
    »Wenn Sie mich fragen, ich habe den Eindruck, er schläft.«
    »Na ja, in gewisser Weise tut er das auch. Die besten Einfälle kommen ihm kurz nach dem Einschlafen. Früher hat er sie über Nacht vergessen. Jetzt schläft er unter wissenschaftlich überwachten Bedingungen ein und kann seine Idee festhalten, ehe er sie vergisst.«
    »Das ist doch lächerlich!« Lily verwendete dieses Wort oft, wie Sascha aufgefallen war, und immer bei Leuten, mit deren Meinung sie nicht übereinstimmte.
    Kurz darauf nickte Edison ein, der Kopf sackte ihm auf die Brust, die Hände erschlafften. Die Stahlkugeln glitten ihm aus den Händen und fielen mit lautem Knall in die bereitstehenden Blechformen …
    Edison fuhr aus dem Schlaf hoch, griff nach seinem Bleistift und schrieb wild drauflos.
    Er bedeckte mehrere Seiten mit Notizen, dann las er sie mit erstauntem Gesichtsausdruck. »Hm, bewegte Bilder, die die Menschen zu Hause anschauen können? Die Idee ist gut, aber ich frage mich, ob damit jemals Geld zu machen ist.«
    Er zuckte mit den Schultern, blätterte um, legte Bleistift und Notizbuch auf die Ablage und bückte sich, um die Stahlkugeln wieder aufzuheben.
    »Entschuldigen Sie, Mr Edison«, meldete sich seine Assistentin. »Inquisitor Wolf ist hier und wünscht Sie zu sprechen.«
    »Oh, selbstverständlich!« Und sogleich stand er auf und beeilte sich, Wolf die Hand zu geben. »Herzlich willkommen, Mr Wolf! Es ist mir eine Ehre, Ihre Bekanntschaft zu machen. Der große Inquisitor Maximilian Wolf, der Schrecken der Hexen, das Bollwerk der Freiheit, der Verteidiger des amerikanischen Menschentums! Kurz … ein echter amerikanischer Held!«
    »Ähem, schon recht«, sagte Wolf kühl.
    Edison schien Wolfs fehlende Begeisterung gar nicht zu bemerken. »Ich

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