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Der Seelenfänger

Titel: Der Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Kilometer weit zu Fuß in die Schule. Und wissen Sie, was wir jeden Morgen als erstes getan haben, wenn der Unterricht anfing? Wir haben den amerikanischen Treueid geschworen.«
    Randle legte die rechte Hand feierlich auf die Brust und reckte das Kinn hoch. »Ich schwöre der Fahne der Vereinigten Staaten von Amerika und der unter Gott geeinten Nation, der Freiheit und Gerechtigkeit für alle ewige Treue«, sagte er dröhnend.
    Einen Augenblick lang herrschte respektvolle Stille. Dann ging der alte Mann mühsam zum Kamin zurück und ließ sich in seinen Sessel sinken. »Der unter Gott geeinten Nation! Wußten Sie, daß es so ein paar verrückte Liberale und Kommunisten gibt, die verhindern wollen, daß diese Worte auch weiterhin zum Unterricht in den Schulen gehören? Kein Wunder, daß wir den Vietnamkrieg verloren haben! Oder was glauben Sie, weshalb unsere Kinder dem Alkohol und dem Rauschgift verfallen? Warum denken sie bloß noch an Sex und vergessen den Respekt vor ihren Eltern und der Nation?
    Ich sage es Ihnen: Die jungen Leute erleben seit Jahren, wie diese Intellektuellen und Weltverbesserer von der Ostküste, diese Kerle wie Franklin Roosevelt systematisch den Reichtum unseres großartigen Landes an Sozialhilfeempfänger und andere Schmarotzer, an alle möglichen Negerrepubliken, Neutralisten und Kommunisten - einschließlich der Sowjetunion - verschenken, deren einziges Sinnen und Trachten danach steht, uns zu vernichten und hier dieselbe Mißwirtschaft zu errichten, die sonst überall auf der Welt herrscht.
    Ich war dreißig Jahre alt, als Roosevelt gewählt wurde, und ich erinnere mich noch genau an Daddys Worte, als wir das Wahlergebnis im Radio hörten. >Junge<, hat er damals gesagt, Junge, das ist der Anfang vom Ende. Erst sperrt er uns sämtliche Konten, dann erhöht er die Steuern so lange, bis uns gar nichts mehr bleibt. Als nächstes führt er uns dann in den Krieg, genauso wie Wilson. Er behauptet, die Welt sicherer zu machen für die Demokratie, aber wenn alles vorbei ist, verschenkt er wieder den Sieg.<
    Genauso ist es gekommen. Doch jetzt müssen alle christlich denkenden Amerikaner sich wehren und das Schicksal ihres Landes wieder selbst in die Hand nehmen. Wir wollen wieder sagen, was uns gefällt und was nicht. Wir müssen unsere christlichen Werte wiedergewinnen und dürfen uns nicht länger zugunsten der Nigger, Juden und Kommunisten ausplündern lassen. Ich jedenfalls werde es nicht länger hinnehmen, daß alles, was ich mit meiner Hände Arbeit erworben habe, in die Taschen dieser Leute wandert.«
    Randle unterbrach sich, etwas außer Atem, und sah in die Runde. Seine Freunde nickten und murmelten zustimmend. Der Alte wandte sich wieder an Preacher. »Nun, junger Mann, habe ich mich klar ausgedrückt?«
    »Vollkommen klar, Sir.«
    »Und was meinen Sie?«
    Preacher dachte einen Augenblick nach. »Wie hießen doch gleich die Weine, die Sie mir empfohlen haben?«
    »Bordeaux und Burgunder.«
    »Ja, sehen Sie, Sir«, sagte Preacher gedehnt, »Sie kommen mir wie ein Mann vor, der bittere Tränen über seinen schrecklichen Durst weint, obwohl er unter jedem Arm eine schöne Flasche Wein hat. Französischen Wein, wohlgemerkt. Ich verstehe nicht viel vom Rechnen, wie ich schon sagte, aber ich würde doch annehmen, daß Sie heute mindestens hundert, wenn nicht fünfhundertmal soviel Geld haben wie 1933, als Roosevelt gewählt wurde und Ihr Vater sagte, das wäre der Anfang vom Ende. Deshalb verstehe ich nicht so ganz, weshalb Sie so jammern. Ich habe doch bloß gefragt, was eigentlich Gott mit Ihren Planen zu tun hat. Diese einfache Frage haben Sie aber bisher nicht beantwortet.«
    Eisiges Schweigen herrschte plötzlich im Raum. Randles Freunde hielten den Atem an. »Wollen Sie vielleicht sagen, daß ich Blödsinn verzapfe, Reverend Talbot?« fragte der alte Mann mit trügerisch sanfter Stimme.
    Preacher blieb ebenfalls leise. »Das haben Sie gesagt und nicht ich, Mr. Randle.«
    Randle lachte laut auf. »Sie haben wirklich Nerven, junger Mann, das muß ich schon sagen!«
    Preacher gab keine Antwort.
    Randle wandte sich an die anderen. »Ich hatte doch recht«, sagte er. »Das ist genau unser Mann. Der läßt sich nicht irremachen, der sagt nur das, was er denkt. Der glaubt an Gott und Vaterland und sonst gar nichts. Hab ich recht, Reverend?«
    »Ja, Sir«, erwiderte Preacher. »Das haben Sie.«
    Der Mercedes brachte Preacher lange nach Mitternacht zu seinen Freunden zurück. Als er ausstieg,

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