Der Seelenfänger
einen runter?«
Preacher gab keine Antwort, sondern sah sie nur an.
»Entschuldige«, sagte sie rasch. »Das war blöde.«
»Schon gut«, sagte er.
Charlie hatte zu weinen begonnen. »Warum haben sie uns bloß aus der Gemeinde vertrieben? Da war alles so friedlich und schön.«
Preacher ergriff ihre Hand. »Ich weiß nicht, Charlie. Gott hat bestimmt seine Gründe. Vielleicht ist das eine Prüfung für uns.«
»Das ist nicht fair, Preacher. Das ist einfach nicht fair.« Charlie beugte sich über ihn und küßte sein Genital, das unter dem Handtuch hervorsah. Dann erhob sie sich rasch. »Wir lieben dich! Vergiß das nicht, Preacher!« Der Vorhang fiel hinter ihr zu, ehe er antworten konnte.
Er blieb einen Augenblick liegen, dann setzte er sich nachdenklich auf. Es war schon beinahe sieben, und er würde sich anziehen müssen. Jeden Augenblick konnte Randies Chauffeur kommen.
Der große schwarze Wagen legte die vierzig Meilen vom Stadtrand bis zu dem großen Torbogen aus verwittertem Holz, auf den die Worte »RANDLE RANCH« eingebrannt waren, in weniger als einer halben Stunde zurück. Zwischen dem Eingangstor und dem breit hingelagerten Ranchhaus lagen weitere zwei Meilen.
Auf dem betonierten Flugplatz der Ranch sah Preacher drei kleine Privat-Jets, zwei Hubschrauber und eine zweimotorige Cessna. Ebenso wie am Haupttor kam auch hier ein uniformierter, schwerbewaffneter Wächter mit Cowboyhut aus seiner verdunkelten Glaskabine und sah zu, wie der Wagen vorbeifuhr. Ein paar hundert Meter hinter dem Flugplatz erreichten sie den weißgestrichenen Zaun, der das Ranchhaus umgab. Diesmal war das Tor durch eine Schranke versperrt, die ein weiterer uniformierter Wächter alsbald für sie aufzog.
Jetzt fuhren sie nicht länger durch staubiges Farmland, sondern durch einen kunstvoll gestalteten Wüstengarten mit Salbeibüschen, Opuntien, Säulenkakteen, Yuccapalmen, Blumen und einem großen künstlichen See, hinter dem ein herrlicher, tiefgrüner Rasen zum Haus hinaufstieg. Langsam rollte der Wagen vor dem säulengeschmückten Haupteingang aus. Preacher sah erwartungsvoll auf die Scheibe, die ihn von Randies Chauffeur und dem Leibwächter trennte. Aber die beiden Männer blieben auch jetzt bewegungslos sitzen. Sie sagten nichts und drehten sich nicht einmal um. Dann kam der Butler die Stufen von der Veranda herunter und hielt Preacher den Schlag auf.
Der Mann war hochgewachsen und hielt sich sehr gerade. Er trug einen Frack mit steifer Hemdbrust und schwarzem Querbinder. Als er die Wagentür öffnete, verbeugte er sich leicht und sagte mit einem britischen Akzent: »Willkommen auf der Randle Ranch, Reverend Talbot.«
Preacher stieg aus. »Vielen Dank.«
Der Butler winkte ihm. »Hier entlang, bitte.«
Preacher ging die Stufen hinauf, der Butler folgte. Ein Diener hielt ihnen die Tür auf und schloß sie auch wieder, als sie im Haus waren. Preacher hatte einigen Prunk erwartete, aber jetzt war er doch fast geblendet. Sie standen in einer riesigen Halle. Das schwere Deckengebälk und die rustikalen, holzverkleideten Wände standen in eigentümlichem Kontrast zu dem schwarzweißen Marmorfußboden und dem strahlenden Lüster, dessen geschliffene Kristalle eher zu einem italienischen Palazzo gepaßt hätten als zu einem Ranchhaus in Texas.
»Mr. Randle und die übrigen Gäste sind in der Bibliothek«, sagte der Butler.
Preacher nickte. Jetzt war er froh, daß er seinen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd, eine schmale schwarze Schleife und blankpolierte schwarze Cowboystiefel anhatte. Er betrachtete sich einen Augenblick lang im Spiegel und war durchaus zufrieden mit sich. Er sah wirklich gut aus. Und die kleine, mit einem Kreuz verzierte amerikanische Flagge im Knopfloch schadete sicherlich auch nicht. In diesem Zeichen verbanden sich Patriotismus und Christentum für jedermann sichtbar. Der Butler stieß eine mächtige Eichentür vor ihm auf.
Die Bibliothek war ein riesiger Saal. Abgesehen von den dek-kenhohen, gläsernen Schiebetüren zum Garten waren alle Wände mit schweren Eichenholzschränken zugestellt, in denen ledergebundene Bücher standen. Auch das übrige Mobiliar war außerordentlich wuchtig: eine dunkle Ledercouch, schwere, lederbezogene Sessel und ein mächtiger mexikanischer Tisch. In der Nähe des Fensters stand ein gewaltiger Schreibtisch mit drei Telefonen, und in einer Nische neben der Tür ratterte leise ein Fernschreiber, der die Gespräche mit einer Atmosphäre von Geschäftigkeit
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