Der Seelenfänger
Angaben einigermaßen korrekt sind?«
Rasch überflog Preacher das Blatt. Wer immer dem alten Mann diese Informationen beschafft hatte, er war außerordentlich gründlich gewesen. Es war alles aufgeführt: Eltern, Bildungsweg, Wehrdienst und ehrenhafte Entlassung, die Gottesgemeinde, die Missionsarbeit. Die Tatsache, daß sein Geld immer noch in Los Altos im Grundstück der Gottesgemeinde steckte, war den Ermittlern ebensowenig entgangen wie die Höhe der Aufwendungen für das Zirkuszelt und die Fahrzeuge seiner Mission. Preacher gab dem alten Mann die Tabelle zurück. »Stimmt alles.«
Randle warf einen Blick in die Runde. »Ich glaube, der Reverend könnte der Mann sein, nach dem wir gesucht haben«, sagte er. »Er ist noch jung, vierunddreißig. Vietnam-Veteran, verwundet, mit ehrenhafter Entlassung. Fast vier Jahre in der Armee, mit dem Purple Heart ausgezeichnet. Seit er aus Vietnam zurück ist, hat er sich ständig darum bemüht, junge Menschen zu
Christus zu führen. Erst in einer kleinen religiösen Gemeinschaft und später, als sich zeigte, daß dieser Ansatz nicht wirksam genug war, mit seiner Missionsbewegung. Der Reverend sieht gut aus, er ist ein ordentlicher, unverheirateter amerikanischer Junge, dem die Frauen zu Füßen liegen und der von den Männern wegen seiner kraftvollen Erscheinung geschätzt wird. Ich bin der Ansicht, wir sollten uns in Ruhe mit ihm unterhalten, um festzustellen, ob er wirklich alle unsere Erwartungen erfüllt und unsere Ansichten teilt.«
Preacher hob die Hand. »Einen Moment, Mr. Randle. Ich verstehe nicht ganz. Könnten Sie mir bitte sagen, was Sie eigentlich suchen?«
Randle sah auf. »Wir suchen einen religiösen Führer, der Amerika wachrütteln kann.«
Preacher schüttelte den Kopf. »Und warum gerade ich? Es gibt doch viel bekanntere Männer. Prediger, die längst eine große Gemeinde haben, und Einfluß. Billy Graham zum Beispiel, Jerry Falwell, Oral Roberts, Rex Humbard, ja sogar James Robinson, obwohl der noch sehr jung ist. Wenn Sie mich nehmen, müssen Sie ganz von vorn anfangen. Mich kennt doch kein Mensch.«
Randle ließ sich nicht irritieren. »Das ist ja gerade Ihr Vorteil. Wir können Sie zu dem machen, was uns vorschwebt. Wir haben das Geld und den nötigen Apparat. Ob wir diesen Apparat für Sie einsetzen, hängt nur davon ab, ob wir inhaltlich übereinstimmen.«
Preacher schwieg.
»Die Männer, die Sie erwähnt haben, sind gute Leute«, sagte Randle, »aber sie sind viel zu beschäftigt. Das sind richtige Unternehmer, die machen Umsätze von zwanzig, dreißig Millionen im Jahr. Die haben doch gar keinen Grund, sich irgendeinen Partner zu suchen, bei denen sie Angst haben müßten, daß er sich einmischt. Außerdem sind wir der Ansicht, daß das Publi-kum jemanden Neues will. Irgendwo ist das Predigen auch eine Art Showbusiness. Das Fernsehen bringt ja auch jedes Jahr neue Stars. Ich glaube, die Religion erfüllt ein ähnliches Bedürfnis.«
Preacher sagte immer noch nichts.
Marcus Lincoln, der Geschäftsführer der Randle Communications, mischte sich ein. »Natürlich geht es nicht nur um Ihre Fähigkeiten als Prediger, Reverend Talbot, das verstehen Sie sicher. Wir müßten Video-Aufnahmen von Ihnen machen und die Spezialisten fragen, was sie von Ihrem Appeal halten. Manchmal sind die besten Leute einfach nicht telegen und kommen auf dem Bildschirm nicht an.«
»Das stimmt«, fügte Everett, der Public-Relations-Manager, hinzu. »Wir müßten außerdem feststellen, ob Sie mit vorgefertigten Texten umgehen können, ob Sie ein guter Stegreifsprecher sind, ob Sie die Presse richtig behandeln und ob Sie schlagfertig sind.«
Preacher sah von einem zum anderen. »Ich bin sehr geschmeichelt, daß Sie mir so viel Aufmerksamkeit widmen«, sagte er. »Sie eröffnen da äußerst faszinierende Perspektiven. Aber bislang hat eigentlich noch niemand erwähnt, was mich am meisten beschäftigt.«
»Und was wäre das, Reverend Talbot?« fragte Randle.
»Gott«, sagte Preacher und lächelte auf Randle herunter. »Wie paßt er denn in all diese erstaunlichen Pläne?«
Sechstes Kapitel
Randies Gesicht verzog sich sarkastisch. »So, so, junger Mann«, sagte er heiser. »Sie wollen wissen, was das alles mit Gott zu tun hat? Das will ich Ihnen erklären.« Er stemmte sich schwerfällig hoch und ging ein paar Schritte zum Fenster, wobei er sich schwer auf den Stock stützte. »Vor vielen Jahren, als ich noch ein kleiner Junge war, ging ich jeden Morgen sechs
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