Der Seelenfänger
»... Reverend Dr. C. Andrew Talbot, präsentieren zu können!«
Das Publikum applaudierte. Jetzt, wo Preacher die Menge zum ersten Mal sah, spürte er seine Kraft. Er würde diese Menschen erreichen, ihr Leben verändern. Er würde sie näher zu Gott bringen. Sein Blick glitt über das riesige Auditorium hin. Jeder Platz war besetzt, weit über zweitausend Menschen allein hier im Saal, und jeder einzelne erwartete etwas von ihm. Er nahm sich vor, ihnen Glauben und Hoffnung zu geben.
Als er die Arme hob, erstarb der Applaus. Gespanntes Schweigen erfüllte den Saal. Preacher nickte den Ehrengästen zu, dann wandte er sich wieder an die Versammlung. Seine Stimme war ehrerbietig und sanft, aber auch fest und bestimmt.
»Brüder und Schwestern im Herrn, laßt uns beten.« Er faltete seine Hände, sah in die Menge hinab und wartete, bis die Zuschauer seinem Beispiel gefolgt waren.
»Herr, wir danken dir, daß du dies alles möglich gemacht hast. Dieses Haus, unsere Arbeit und uns selbst weihen wir feierlich deinem Dienst, wie es uns die heilige Bibel befiehlt. Wir versprechen, die frohe Botschaft, die dein eingeborener Sohn uns gelehrt hat, aller Welt zu verkünden!«
Jesus ist Macht
Erstes Kapitel
Die Vorstandssitzung fand in einem holzgetäfelten Büro mit einem großen Palisandertisch statt. Preacher schloß die Tür hinter sich und nahm seinen Platz ein. »Tut mir leid, daß Sie warten mußten«, sagte er höflich. »Aber als ich von dem Attentat hörte, habe ich die laufende Sendung sofort unterbrochen und einen Bittgottesdienst für das Leben des Präsidenten daraus gemacht. Der Film wird gerade geschnitten, er geht heute noch über die Sender. Die anderen senden alle Konserven, die werden ganz schön alt aussehen heute abend. Wir haben sie alle um Längen geschlagen.«
»Was ist denn eigentlich, los?« fragte Randle vom unteren Ende des Tisches. »Aus den Nachrichten war nicht viel zu entnehmen. Es hieß, daß Reagan ins Hospital gebracht worden ist, aber was ihm eigentlich fehlt, hat keiner gesagt.
»Vielleicht ist es gar nicht so schlimm«, sagte Preacher. »Die meisten Schüsse sind wohl daneben gegangen, und in einem Bericht hieß es sogar, er sei ohne fremde Hilfe ins Auto gestiegen, um sich ins Krankenhaus fahren zu lassen. Allerdings sollen ein Leibwächter und sein Assistent, James Brady, ebenfalls verletzt worden sein.«
»Unsere Public-Relations-Leute sollen jedenfalls dafür sorgen, daß morgen das ganze Land weiß, daß wir die ersten waren, die Gottes Hilfe für unseren Präsidenten erfleht haben«, sagte Randle entschlossen.
Preacher gab keine Antwort.
Der alte Mann ließ sich nicht irritieren. »Andererseits bin ich jetzt natürlich sehr froh, daß ihr euch so gut mit dem Stab von Vizepräsident Bush steht, obwohl ich damals überzeugt war, daß ihr spinnt. Wenn der Präsident stirbt, wird sich Falwell ein Monogramm in den Bauch beißen. Es war ja auch ziemlich unvorsichtig von ihm, daß er damals versucht hat, den Präsidenten von Bush abzubringen.«
»Ich dachte, da hätten Sie auch mitgemischt«, sagte Preacher.
»Ich habe nur ein paar Dollar gespendet, mehr nicht«, sagte Randle verlegen. »Ich persönlich dachte, Haig sei der richtige Mann für dieses Amt gewesen. Jedenfalls beweist das ganze wieder einmal, daß wir bei den Wahlen im Herbst 1982 den Kongreß in den Griff kriegen müssen. Wenn der Präsident die Sache nicht überlebt, ist Bush an der Reihe, und dann bleibt nur noch Tip O’Neill, und die Demokraten sind wieder im Weißen Haus.«
»Es sind doch noch anderthalb Jahre Zeit«, sagte Preacher.
»Man kann sich gar nicht früh genug darum kümmern«, ent-gegnete Randle. »Wir müssen uns vorsehen, sonst verlieren wir alles, was wir erreicht haben.«
Preacher nickte, nahm aber nicht dazu Stellung. »Ich glaube, wir sollten jetzt mit der Tagesordnung beginnen«, sagte er trok-ken. Er nahm den Hammer und klopfte damit auf den Tisch. »Die Vorstandssitzung des Stiftungsrates der Kirche der amerikanischen Christen ist hiermit eröffnet.« Er wandte sich an Beverly, die neben ihm saß. »Ich möchte die Schriftführerin bitten, die Anwesenheitsliste zu prüfen und das Protokoll der letzten Sitzung vorzulesen.«
Beverly erhob sich und las automatisch die Namen herunter: »Mr. Randle, Mr. Craig, Mr. Everett, Mr. Michaels, Mr. Lincoln, Mrs. Lacey, Mrs. Talbot und Dr. C. Andrew Talbot.« Sie unterbrach sich einen Moment und nahm eine schwarze Mappe vom Tisch. »Ich beginne jetzt
Weitere Kostenlose Bücher