Der Seelenfänger
ginge, hätte ich die Kirche schon vor zwei Jahren aufgeben müssen.«
Preacher nickte. »Sie sind ein glücklicher Mann. So eine Frau hat nicht jeder. Wie lange sind Sie verheiratet?«
»Im September sind es drei Jahre. Vorher war ich zwei Jahre Witwer, und als ich sie gefragt habe, ob sie mich heiraten würde, habe ich nicht gedacht, daß sie ja sagt.«
»Und warum nicht?«
»Na ja, ich bin nicht mehr der Jüngste«, sagte Willard. »Ich bin dreiundsechzig, und sie ist erst dreiundzwanzig. Das Leben ist schon merkwürdig. Ich erinnere mich noch, wie ich sie in den Armen gehalten habe, als ich sie taufte. Da war sie erst eine Woche alt.«
Preacher und Joe sahen sich an, sagten aber nichts.
Der alte Mann nickte nachdenklich. »Ich hatte schon immer das zweite Gesicht«, sagte er. »Wenn ich als Kind in der Kirche auf dem Schoß meiner Mutter saß, hatte ich immer das Gefühl, Jesus nahe zu sein. Und ich glaube, daß er mir die Gabe geschenkt hat, Dinge zu wissen, die erst viel später eintreten. Ich habe zum Beispiel immer gewußt, daß ich eines Tages Gottes Wort predigen würde. Und als ich damals diesen winzigen Säugling auf dem Arm hielt und ins Wasser des Little River, da hinter der Kirche, tauchte, um ihn zu taufen, da hörte ich die Stimme des Herrn. >Behalte dieses Kind liebe, sagte er. >Denn so wie du heute dieses kleine Mädchen zu mir bringst, werde ich sie eines Tages zu dir bringen.««
Der alte Mann hob den Blick. »Damals verstand ich noch nicht, was er meinte, und im Laufe der Zeit vergaß ich die Sache vollkommen. Aber als ich dann zwanzig Jahre später um Sarahs Hand anhalten wollte und Jesus auf Knien anflehte, mir zu sa-gen, ob ich das Recht hätte, dieses junge Mädchen zu heiraten, oder ob ich ihr eine zu schwere Last auferlegte, da befahl mir eine innere Stimme, in den Kirchenbüchern zu lesen. Und als ich die Seite mit Sarahs Namen fand, fiel mir wieder ein, wie ich sie getauft und was mir Jesus gesagt hatte, und da war ich beruhigt. Ich wußte, daß es schon immer sein Plan war, uns eines Tages zusammenzuführen.«
Die schlichten Worte des alten Mannes beeindruckten Preacher. Gerührt ergriff er Willards Hand und drückte sie fest. Einen Moment lang sprachen beide kein Wort, dann traten dem alten Pfarrer plötzlich Tränen in die Augen, er senkte den Kopf und küßte Preacher die Hand.
»Warum weinen Sie denn, Bruder?« fragte Preacher behutsam.
Die Augen des alten Mannes waren immer noch feucht. »Ich weiß es selbst nicht«, sagte er leise. »Vielleicht bin ich bloß müde und habe Angst, daß ich zu alt bin, um weiterzumachen, und daß ich sowohl meine Frau verliere als auch die Kirche.«
»Wie kommen Sie darauf?«
Die Stimme des alten Mannes war heiser vor lange verheimlichtem Schmerz. »Sie möchte ein Baby, das weiß ich. Aber ich konnte ihr nie ein richtiger Ehemann sein.«
»Hat sie sich darüber beklagt?«
Willard schüttelte den Kopf. »Nein. Sie weiß ja, daß ich sie liebe.«
»Und warum glauben Sie, daß Jesus weniger Verständnis aufbringt als Ihre Frau? Er weiß doch auch, daß Sie ihn lieben.«
Preacher schwieg einen Moment, warf Joe einen Blick zu und wandte sich wieder an Willard. »Ich glaube, das ist der Grund, warum er uns heute zusammengeführt hat.«
Fünftes Kapitel
Pastor Willard war äußerst nervös. »Es ist schon nach sechs«, sagte er. »Und es ist noch kein Mensch da.«
»Die Leute sitzen noch beim Abendbrot«, sagte Joe. »Wir haben im Radio bekanntgeben lassen, daß es um sieben Uhr losgeht, also kommen die Leute um sieben. Machen Sie sich keine Sorgen. Wir wissen schon, was wir tun.«
»Ich bete zu Gott, daß ihr recht habt«, sagte Willard inbrünstig. Er wandte sich um und starrte den riesigen Bildschirm an, der über seiner Kanzel aufgehängt worden war. »Eine FootballGebetsstunde! Wenn mir noch vor einem halben Jahr einer gesagt hätte, daß ich je eine Football-Gebetsstunde abhalten würde!« Der alte Mann schüttelte den Kopf.
Joe lachte. »Wenn man die anderen nicht unterkriegt, muß man halt mitspielen. Was die Bars und Cafés machen, weil ihnen sonst am Montag die Kunden weglaufen, kann die Kirche schon lange.«
»Die Leute sollten in die Kirche kommen, weil sie hier Gottes Wort hören«, erklärte Willard. »Diese anderen Sachen.«
»Der Trick besteht darin, sie überhaupt in die Kirche zu kriegen«, sagte Joe. »Was dann geschieht, ist Ihre Sache! Sie müssen dafür sorgen, daß sie Gottes Wort hören.«
»Sind Sie sicher,
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