Der Seelenfänger
daß der Apparat funktioniert?« fragte der alte Mann.
Joe lächelte. »Sicher. Wir haben alles oft genug überprüft. Im Grunde genommen ist alles ganz einfach.« Er ging zwischen den Bankreihen zur Kanzel. Das Videogerät stand hinter dem Pult. »Sie müssen sich diese vier Knöpfe merken, auf denen VIDEO, SENDUNG, MUSIK und SPRACHE steht. Sie brauchen die Knöpfe bloß in der Reihenfolge zu drücken, die hier auf dem Programm angegeben ist. Aber wenn Sie mal einen vergessen, ist es auch nicht schlimm. Das Gerät ist so programmiert, daß es nach einer Sekunde automatisch umschaltet.«
Willard warf einen Blick auf das Schaltpult. »Deswegen habe ich keine Bedenken. Ich habe lange genug geübt, um es richtig zu machen. Aber was passiert, wenn die Maschine nicht funktioniert?«
»Es wird nichts passieren«, beruhigte Joe. »Und wenn tatsächlich etwas nicht klappen sollte, dann sind Sie ja noch da. Sie sind schließlich ein Prediger. Also predigen Sie!«
Willard lächelte. »Das kann ich. Da kann bestimmt nichts passieren.«
»Das Gerät ist so programmiert, daß die Musik um halb sieben beginnt. Um halb acht treten Sie hinter die Kanzel und stellen das Videoband an. Das Band läuft fünf Minuten, dann drük-ken Sie die Sprechtaste. Für die Predigt haben Sie genau fünfundzwanzig Minuten. Pünktlich um acht beginnt die Fernsehübertragung. In der Halbzeitpause haben Sie fünfzehn Minuten, dann blenden Sie sich wieder in die Übertragung ein bis zum Ende des Spiels. Danach schalten Sie noch einmal für fünf Minuten das Band ein, dann können Sie wieder sprechen, und wenn Sie fertig sind und die Leute gehen, kommt wieder Musik.«
»Mit Gottesdienst, wie ich ihn kenne, hat das nichts mehr zu tun«, meinte Willard.
»Das ist eben ein moderner Gottesdienst für die Kirche von heute«, erwiderte Joe lächelnd. »Eines Tages werden alle Got-tesdienste so sein. Gott hat uns die elektronischen Mittel doch nicht bloß für Pornos und Werbung geschenkt, sondern auch, um sein Wort zu verbreiten.«
»Die Botschaft hör ich wohl, Bruder Washington«, sagte Willard. »Und da Sie es sind, der sie mir bringt, sag ich amen dazu.«
Die ersten Gläubigen betraten die Kirche. Joe drückte Willard die Hand. »Warum stellen Sie nicht die Musik an und gehen zur Tür, um Ihre Schäfchen zu begrüßen?«
Die kleine Kirche war zum Bersten gefüllt. Dichtgedrängt saßen die Menschen in den Bänken, und einige der jungen Burschen und Kinder drängten sich noch an den Wänden und rings um den Eingang. Joe saß auf einem Klappstuhl, gleich neben der Tür, die zur Wohnung des Pfarrers führte. Pünktlich um halb acht ging Pastor Willard zur Kanzel.
Unmittelbar darauf wurde der Bildschirm über ihm hell. Ein kleines goldenes Kreuz erschien in der Mitte des Bildes, das immer größer und leuchtender wurde, bis es den ganzen Raum mit seinen Strahlen erhellte. Violette, schwarz umrandete Buchstaben nannten den Regisseur und den Kameramann. Gleichzeitig hörte man die sonore Baritonstimme des Ansagers. »Die Baptistengemeinde von Little River in Verbindung mit der Kirche der amerikanischen Christen freut sich, Sie zur Montag-abend-Football-Gebetsstunde begrüßen zu können. Liebe Brüder und Schwestern in Christo, hören Sie jetzt Ihren Pastor, Parker J. Willard!«
Donnernder Applaus kam aus den Lautsprechern, und der Gemeinde blieb gar nichts anderes übrig, als ebenfalls zu klatschen. Pastor Willard ließ es lächelnd über sich ergehen, dann hob er begütigend die Hand, um die Versammlung zur Ruhe zu bringen, und drückte die Sprechtaste. Der Bildschirm wurde dunkel.
Willard packte die Kanzel mit beiden Händen und musterte seine Gemeinde einen Augenblick lang in völliger Ruhe. Ein versöhnliches Lächeln milderte den Vorwurf, mit dem er begann. »Liebe Brüder und Schwestern, es sind heute viele hier, die ich schon allzulange nicht mehr in dieser Kirche gesehen habe. Euch möchte ich sagen: Ich freue mich, daß ihr da seid. Ihr seid hier willkommen!
Und - was noch wichtiger ist - ich glaube, der Herr freut sich auch, daß ihr da seid. Es interessiert ihn nicht, ob ihr hergekommen seid, weil ihr neugierig seid oder weil ihr ein FootballSpiel sehen wollt, ihm kommt es nur darauf an, daß ihr in sein Haus gekommen seid, um zu beten.
Wir werden jetzt gemeinsam ein Wunder Gottes erleben. Ein elektronisches Wunder, ein Wunder der Technik, die er uns geschenkt hat, um unser irdisches Leben noch schöner und reicher zu machen. Ein
Weitere Kostenlose Bücher