Der Seelenhändler
geschüttelt, seinen Wider-stand endlich aufgab und sich aus der Hütte führen ließ.
Sie traten hinaus und tauschten das Halbdunkel des Grauens gegen die trügerische Idylle eines hellen Sommertages. Schmetterlinge und Bienen teilten sich die Blüten der sommerlichen Wiese; Grillen zirpten, Vögel zwitscherten – die Banalität eines ganz gewöhnlichen Junitages im Tal umfing sie.
Wäre da nicht das Geschehen in der Hütte gewesen.
Die das Unfassbare barg.
Die leblosen Körper. Das Blut. Die Schmeißfliegen.
Bertram war ins Gras gesunken und weinte noch immer hemmungslos. In dumpfer Verzweiflung ruhte Wolfs Blick auf dem Jungen. Er legte den Arm um ihn und zog ihn an sich. Bertram ließ es willenlos geschehen. Irgendwann ging sein Weinen in leises Wimmern über.
Wie lange sie vor der Hütte gesessen hatten, um dem Schmerz Raum zu geben, wussten sie später nicht mehr. Jedenfalls stand die Sonne ein gutes Stück weiter westwärts, als Wolf schließlich das Schweigen brach und dem Jungen behutsam klarzumachen versuchte, dass es an der Zeit war, den Ort zu verlassen.
Vorher aber hatte er noch etwas zu erledigen. Er erhob sich und ging langsam zur Hütte hinüber. Vor der Tür blieb er kurz stehen. Dann trat er entschlossen über die Schwelle und ging rasch zum Fenster hinüber. Er schloss den Laden, den er kurz zuvor aufgestoßen hatte, und verriegelte ihn von innen. Mit einem Strick und einigen kräftigen Ästen sicherte er danach die Tür von außen, so gut es ging, damit Arnulf und Agnes, Anna, Paul und Tassilo wenigstens vor den Tieren der Nacht sicher waren.
Etwa eine und eine halbe Stunde nachdem sie aufgebrochen waren, ritten sie durch das obere Tor der Abtei. Das Klappern der Hufe schreckte Bruder Theobald – Pförtner und hospitarius im Stift zu Admont und damit auch zuständig für die Belange der Pilger und Gäste – aus seinem nachmittäglichen Dösen auf. Mit einigen wenigen Sätzen gelang es Wolf, ihm klarzumachen, dass er sie so-fort zu Prior Metschacher bringen müsse.
Über den Klosterhof folgten sie Theobald in Richtung des Abtshauses. Für gewöhnlich befand sich die Arbeitsstätte Metschachers im Priorat, das sich im Konventsbereich befand und direkt an den Kreuzgang anschloss. Zurzeit wohnte und arbeitete der Prior allerdings im Haus des Abtes, das sich außerhalb des Klausurbereiches im Osten der Klosteranlage befand. Als Vertreter des Abtes Wilhelm von Reisperg, der zu einer größeren Reise nach Bayern aufgebrochen war, hatte er nicht nur dessen Vorsteheramt wahrzunehmen, sondern auch Repräsentationspflichten zu erfüllen; eine Aufgabe, die er in den großzügigen und gut ausgestatteten Räumlichkeiten des domus abbatis weitaus besser wahrnehmen konnte.
Knarrend öffnete sich die Tür zum Scriptorium des Abtes.
„Der Vater Prior erwartet Euch“, sagte Theobald an Wolf gewandt, nachdem er zuvor Metschachers Erlaubnis, den Besucher eintreten zu lassen, eingeholt hatte. Bertram ließ sich auf einer Bank, die gegenüber der Tür zum Scriptorium an der Wand stand, nieder.
Kaum dass Wolf über die Schwelle trat, erhob sich der Prior vom Schreibtisch. Metschacher war ein großer, hagerer Mann mit römischen Gesichtszügen, dessen gesamtes Äußeres kongruent den zwar feinsinnigen, aber auch kompromisslos dogmatischen Kleriker widerspiegelte, der er im Innern war. Das tonsierte Haupt von einem silbergrauen Haarkranz umgeben, wölbte sich unter der hohen Stirn eine kühn gebogene Nase über schmalen Lippen. Die tiefen Furchen um die Mundwinkel wirkten wie gemeißelt und verliehen dem bartlosen Gesicht einen permanent leidenden Ausdruck. Der Blick aus schmalen, grauen Augen, die unter leicht geschwungenen Brauen lagen, wirkte meist seltsam distanziert, fast hochmütig, verriet in seltenen Augenblicken jedoch auch einen Anflug von Heiterkeit und Güte.
Jetzt eilte er seinem Besucher mit ausgebreiteten Armen entgegen. Er lächelte, allerdings nicht wirklich herzlich, sondern mehr aus pflichtbewusster Höflichkeit. „Ihr, Wolf? Seid gegrüßt. Was führt Euch denn hierher?“
Seine Stimme klang unverbindlich freundlich, wies aber einen leichten Anflug von Ungeduld auf. Der Gruß war nichts weiter als eine bloße Floskel. Doch kaum, dass er ihn geleistet hatte, entdeckte er den flackernden Blick Wolfs, in dem sich die unterschiedlichsten Gefühle zu mischen schienen.
Trauer und Wut. Verzweiflung und Ratlosigkeit.
„Wolf? Wolf! … Was … was ist mit Euch?“ Die ansonsten sonore
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