Der Seelenhändler
Miene schlagartig. Das ernste Gesicht hellte sich auf, freudestrahlend eilte er ihm entgegen.
„Ihr, Wolf? Wie bin ich froh, Euch zu sehen“, rief er.
„Psst!“ Bruder Vitus legte den Zeigefinger an den Mund. Mit sanftem Tadel sah er Bertram an. In einem Benediktinerkloster war auf Stille zu achten. Auch wenn die Schweigeregel in Admont nicht immer ganz ernst genommen wurde, hatten doch zumindest laute Ausrufe der Freude oder des Ärgers zu unterbleiben.
„Verzeiht, Meister Vitus. Es ist die Freude über die Belohnung“, entschuldigte sich Bertram.
Wolf lächelte. „Die Belohnung?“, fragte er leise.
Bruder Vitus schmunzelte.
„Ich habe Bertram für heute noch eine Belohnung versprochen. Für seine guten Fortschritte in Latein. Aber ich habe ihm nicht gesagt, worum es sich dabei handelt. Es sollte schließlich eine Überraschung sein“, klärte er Wolf auf.
„Ich denke, die ist Euch gelungen, nicht wahr, Bertram?“ Wolf sah in die freudestrahlenden Augen des Jungen, und ihm wurde warm ums Herz.
In diesem Augenblick bemerkte Bertram Katharina, die sich inzwischen ebenfalls von der Bank erhoben hatte und an Wolfs Seite getreten war.
„Oh“, sagte er nur und wurde bis über beide Ohren rot. Von ihrem Anblick gleichermaßen irritiert wie angetan, blickte er abwechselnd zwischen Katharina und Wolf hin und her. Der grinste nur. Doch dann beendete er gnädig die Verlegenheit des Jungen.
„Das – Bertram, Meister Vitus – ist Katharina von Klingfurth, eine gute Freundin“, stellte er seine Begleiterin vor.
Der Mönch verbeugte sich. „Gottes Friede mit Euch, edle Dame.“
„Den wünsche ich auch Euch, Meister Vitus“, grüßte Katharina zurück.
Bertram sah die Klingfurtherin mit offenem Mund an.
„Eine gute Freundin? Warum kenne ich Euch dann noch nicht?“, platzte es mit der herzerfrischenden Offenheit eines Jugendlichen aus ihm heraus.
Katharina begann zu lachen, um sofort verlegen ihre Hand an die Lippen zu führen.
„Ganz einfach. Weil wir uns erst seit Kurzem kennen“, sagte sie in verhaltenem Ton, noch bevor Wolf antworten konnte.
Erneut schenkte Bruder Vitus Bertram einen tadelnden Blick.
„Mit den Umgangsformen hapert es noch ein wenig. Doch dafür macht er mir in den anderen Fächern sehr viel Freude“, wandte sich der Schulmeister an Wolf und Katharina.
Wolf schmunzelte. „Lasst ihn älter werden, und er wird sich auch darin verbessern.“
„Ich denke, so wird es sein. – Aber nun entschuldigt mich, ich habe zu tun. Wir sehen uns morgen wieder“, verabschiedete sich der Lehrer und entfernte sich mit langen Schritten.
Bertram wurde sich seiner Ungeschicklichkeit erst jetzt bewusst.
„Verzeiht, edle Dame. Verzeiht Wolf. Ich habe mich wohl ein wenig danebenbenommen“, entschuldigte er sich. Wieder zog dunkle Röte über sein Gesicht.
„Aber nein, du musst dich für deine Offenheit nicht entschuldigen. Unter Danebenbenehmen verstehe ich etwas weit Schlimmeres“, bemerkte Katharina lächelnd. „Sag mir lieber, was ihr heute in Latein gelernt habt.“
Für diese Ablenkung war Bertram ihr unendlich dankbar.
„Was wir in Latein gelernt haben? Nun, Meister Vitus hat uns heute nicht nur öde Grammatik gelehrt, sondern uns mit einem Text des heiligen Paulus bekannt gemacht. Er hat gesagt, dass dies ein Ausspruch sei, der uns die Welt besser verstehen lässt.“
„Oh, das klingt ja höchst vielversprechend. Um welchen Ausspruch handelte es sich denn?“
„Um einen Satz aus dem Brief an die Korinther. Ich nenne ihn Euch: Videmus nunc per speculum in aenigmate, tunc autem facie ad faciem. Wisst Ihr, was das übersetzt bedeutet?“
„Aber ja! Übersetzt lautet der Satz: Jetzt sehen wir durch einen Spiegel ein rätselhaftes Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht. “
Bertram war verblüfft. Und endlos enttäuscht. Voller Enthusiasmus, aber auch mit einer gehörigen Portion Altklugheit, hatte er den lateinischen Satz rezitiert. Höchst angetan von dem Gedanken, seinem „Publikum“ mittels dieses Verses jene überwältigende Erkenntnis darlegen zu können, die ihm selbst erst kurz zuvor Meister Vitus beigebracht hatte. Die Erkenntnis, dass die Dinge nicht so sind, wie sie sich oberflächlich betrachtet darstellen. Sondern dass jedes Ding mehr ist als seine sichtbare Oberfläche und eine spiegelnde Symbolik besitzt, die erkannt und ergründet werden muss. Begeistert von diesem neu erworbenen Wissen gedachte er, die schöne Frau an Wolfs Seite damit zu
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