Der Seelenhändler
in seiner Gürteltasche nach etwas suche, und legte dabei wie zufällig die beiden Schmuckstücke mit dem Eberkopf auf den Tisch. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete er dabei gespannt die Miene des Jungen. Doch Bertram betrachtete die Fundgegenstände zwar verwundert, aber ohne jede Spur eines Erkennens.
Spätestens in diesem Augenblick war Wolf klar, dass Bertram ihm auf der Suche nach dem Eber in Rieden keine Hilfe sein würde. Eine Tatsache, die er jedoch eher mit Erleichterung zur Kenntnis nahm und die Schmuckstücke wieder in die Wamstasche steckte.
„Nun?“, fragte Bertram gespannt. „Bitte, Wolf, was hat es mit der Spur auf sich, von der ihr eben gesprochen habt?“
„Darüber kann ich dir noch nichts Genaues sagen“, wich Wolf aus.
„Und wann seid Ihr so weit, etwas darüber sagen zu können?“
„Wie schon gesagt: Das weiß allein der Himmel.“
Bertram schwieg. Geistesabwesend blickte er mit zusammengekniffenen Lippen auf den Becher, der vor ihm stand.
Mit einem Mal rann ihm eine vereinzelte Träne die Wange herab und tropfte in den Becher.
Sanft legte Katharina ihre Hand auf seinen Arm.
Wolf sah es und schwieg. Ein Kloßgefühl im Hals versagte ihm das Sprechen. Wieder einmal dominierte Schmerz den Augenblick – wie so oft in den vergangenen Wochen.
Bertram hob den Kopf.
„Ihr werdet die Mörder finden, nicht wahr, Wolf?“ Trauer und Zorn brannten in den feuchten Augen.
Entschlossen sah Wolf ihn an.
„Ich verspreche es. Und ich verspreche dir auch, dass sie büßen werden“, antwortete er mit rauer Stimme. Er bedauerte zutiefst, dass die Unterhaltung nun doch diese Wendung genommen hatte.
Katharina war es, die die Situation schließlich meisterte.
„Noch herrscht Dunkelheit in deiner Seele, Bertram“, sagte sie leise und legte den Arm um den Jungen. „Doch sie wird zunehmend weichen. Du wirst das Schreckliche nie ganz vergessen können. Aber du bist noch sehr jung, und ein ganzes, langes Leben liegt vor dir. Glaube mir, die Zeit kommt, wo die Sonne auch für dich wieder scheinen wird. Wie heißt es so schön: … omnia tempus habent … Alles hat seine Zeit … “
„ … tempus flendi et tempus ridendi, tempus plangendi et tempus saltandi … eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen; eine Zeit zum Klagen und eine Zeit zum Tanzen “, fiel Bertram rezitierend ein. „Ja, ich weiß, Ihr habt Recht. So steht es im Buch Ecclesiastes, nicht wahr?“
„Bravo, Bertram. Du erstaunst mich immer wieder. Meister Vitus ist zu Recht des Lobes voll über dich. Wo hast du so perfekt Latein gelernt? Du bist doch erst seit einigen Wochen in der äußeren Schule?“
Katharinas Bewunderung war aufrichtig. Und vor allem: Sie tat gut. Was sich darin zeigte, dass Bertram wieder lächelte.
„Das habe ich Wolf zu verdanken. Er hat mich von klein an Lesen, Schreiben und Latein gelehrt. Aber die ersten lateinischen Worte hat mir meine Mutter beigebracht, als ich sechs Jahre alt war“, sagte er stolz.
„Deine Mutter?“ Katharina wirkte überrascht und sandte einen ungläubigen Blick zu Wolf.
„Ja, das stimmt, ich erinnere mich“, bestätigte Wolf. „Ich zitierte Agnes gegenüber einmal aus dem Buch Proverbia einen Spruch. Er gefiel ihr so gut, dass sie ihn auswendig lernte. Als ich einige Zeit später Arnulf besuchte, überraschte mich Bertram damit, dass er den Spruch aufsagte. Das war der Beginn unseres Lateinunterrichtes, nicht wahr, mein Junge?“
Bertram nickte.
„So, und was war das für ein Spruch?“, fragte Katharina.
Wieder warf sich Bertram ein wenig wichtigtuerisch in Positur, bevor er antwortete: „Aqua profunda verba ex ore viri et torrens re dundans fons sapientiae – Tiefes Wasser sind die Reden aus dem Munde eines Mannes; ein strömender Bach ist die Quelle der Weis heit. Meine Mutter sagte mir, das sei ein kluger Spruch. Ich solle mir diesen Spruch gut merken, er enthalte ein Geheimnis und habe eine besondere Bedeutung für mein künftiges Leben.“
„Da hat deine Mutter etwas sehr Schönes gesagt. Aber was meinte sie mit dem Geheimnis?“
„Wahrscheinlich wollte sie damit sagen, dass das Geheimnis des Lernens darin liege, dass man anderen, die viel wissen, zuhören muss“, antwortet Wolf anstelle Bertrams.
Katharina lächelte. „Ihr müsst ein außergewöhnlich guter Lehrer sein.“
„Nur, weil Bertram ein außergewöhnlich guter Schüler ist“, gab er ebenso lächelnd zurück.
Katharina hob den Krug. „Nun denn – auf den Lehrer und seinen
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