Der Seelenleser
Leider würde er alle im selben Moment überraschen, und das könnte sich als Problem herausstellen. Jedenfalls sollte er sie aus dem Badezimmer herausbekommen, und er brauchte einen taktischen Vorteil.
Er nahm sein Blackberry heraus und wählte Elises Nummer. Es klingelte im Arbeitszimmer.
Elise erstarrte, als das Telefon nicht aufhören wollte zu klingeln. Ihre Augen waren auf Kroll gerichtet.
» Hast du den Anruf erwartet?«
Elise schüttelte den Kopf. » Nein.«
» Wer weiß, dass du hier bist?«
» Niemand… Nun, eigentlich bin ich ja immer hier…«
Krolls Gesicht schwoll weiter einseitig zu. Durch sein linkes Auge konnte er nicht mehr sehen, und sein linker Mundwinkel war so angeschwollen, dass sein ganzes Gesicht schief wirkte. Dennoch konnte Elise sehen, dass er über ihre Antworten auf seine Fragen verärgert war. Er musste wissen, dass sie log.
Im Moment schien er zu denken, dass das klingelnde Telefon ein Versuch war, ihn zu verwirren. Er saß still da, und der Blick aus seinem gesunden Auge schien sich in sie zu bohren. Sie hatte das Gefühl, dass jedes Klingeln ihn näher ans Explodieren brachte.
Das Klingeln hörte auf.
Zu aller Überraschung klingelte ein anderes Telefon. Diesmal im Schlafzimmer.
Lore wirkte geschockt. » Das ist mein Telefon.«
» Was ist hier eigentlich los?«
Kroll hörte dem Klingeln zu. Die Melodie ertönte fünf Mal, dann war Stille. Das war kein Zufall. Ihm lief hier gerade alles aus dem Ruder. Ganz kurz war er desorientiert, doch dann konnte er wieder klar denken.
» Wer zum Teufel weiß, dass ihr beide heute Nacht hier zusammen seid?«
» Niemand«, sagte Lore viel zu schnell.
» Ich möchte wissen, wer zum Teufel das war«, sagte Kroll zu Elise. Er stand auf und winkte mit der Pistole in Richtung Tür. » Steh auf!«
Er ging rückwärts aus dem Badezimmer und blieb mitten auf den Glasscherben stehen.
» Ich bleibe genau hier«, sagte er und zeigte mit der Pistole auf Lore. Er nickte in Richtung Arbeitszimmer. » Hol es.«
Das Telefon lag auf dem Kaffeetischchen vor dem Sofa, wo Elise gesessen hatte, als Kroll hereingekommen war. Sie ging an ihm vorbei und huschte durch das Ankleidezimmer ins Arbeitszimmer. Als sie das Telefon in die Hand nahm, sah sie den Namen des Anrufers auf der Anzeige: » Townsend«. Herrgott, jetzt musste sie Kroll das erklären.
Sie machte sich auf den Rückweg durch das Ankleidezimmer. Genau in dem Moment, als sie in den Schatten trat, sah sie Fanes düsteren Umriss links von der Tür stehen. Die relative Dunkelheit des Durchgangs verbarg ihre Reaktion vor Kroll, der mit nur noch einem Auge nicht mehr alles erkennen konnte. Fane hielt seine Pistole hoch, damit sie die Waffe sehen konnte, und legte den Zeigefinger auf die Lippen.
Ohne ihren Schritt zu verlangsamen, ging sie weiter, doch ihr Herz schlug wie verrückt.
Kroll nahm Elise das Telefon ab und hielt es sich vor das gute rechte Auge. Dann blickte er sie wieder an.
» Wer ist das?«
Plötzlich klingelte Lores Telefon wieder.
» Hol das verdammte Ding«, blaffte Kroll Elise an. Sie drehte sich um, ging ins Schlafzimmer und zu ihrem Bett, wo Lores Kleider lagen. Dort fand sie auch das Telefon.
Sie brachte es Kroll. Er blickte auf die Anzeige und drehte es zu ihr. Auch hier stand » Townsend«.
» Wer zum Teufel ist das?«
» Townsend«, sagte Elise erklärend zu Lore.
» Sie wird auch weiter anrufen«, sagte Lore, ohne zu stocken. » Wir hatten uns zu einem Dreier verabredet.«
Elise war von Lores Schlagfertigkeit überrascht. Ihr Herz pochte wie verrückt. Kroll blickte in Richtung der Schatten des Ankleideraums. Sie mussten sich etwas einfallen lassen, um Townsend eine Gelegenheit zu bieten. Kroll musste in eine andere Richtung gelenkt werden. Townsend brauchte eine Möglichkeit, wie aus dem Nichts auftauchen zu können.
Fane würde jetzt hören können, ob Elise es schaffte, ihm das nötige Überraschungsmoment zu ermöglichen. Kroll war nur noch wenige Schritte entfernt und lehnte an der Badezimmertür.
» Es reicht«, sagte Elise plötzlich. » Jetzt erschieß uns endlich oder lass uns was überziehen. Schau sie dir doch an!« Sie zeigte auf Lore, die weiterhin auf dem kalten Marmorfußboden hockte und ihre Beine umklammerte. » Siehst du nicht, wie sie friert? Komm, Lore.«
» Du bleibst, wo du bist«, sagte Kroll zu Lore. Dann wandte er sich an Elise. » Und du holst zwei Bademäntel.«
Sie drehte sich um und ging zu den Schränken im Ankleideraum. Sie
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